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Spiel mir das Lied vom Glück

Spiel mir das Lied vom Glück

Titel: Spiel mir das Lied vom Glück Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Cathy Lamb
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wollten sie fortlaufen. Sie waren so groß wie mein Hintern, aber der würde wenigstens von dem Rock bedeckt werden.
    Robert Stanfield III hatte sich klar ausgedrückt: »Achte darauf, dass du einen weiten Rock bekommst. Ich will dich nicht in so einem hautengen Teil sehen, in dem man jede Rolle erkennt. Dafür hast du nicht die richtige Figur, Kröte.«
    Er nannte mich immer Kröte. Oder Opossum. Oder Frettchen. Wenn er richtig wütend wurde, war ich das Brauereipferd.
    Dass mein Hintern so groß ist, leuchtet mir ein, das liegt
an der Schokolade, aber die Größe meiner Brüste habe ich nie begriffen. In der fünften Klasse begannen sie zu sprießen und wuchsen immer weiter. In der achten Klasse flehte ich meine Mutter an, mir die Brüste verkleinern zu lassen. Tatsächlich ließ sie sich erweichen, aber nur weil ihre Freunde mich immer begafften. Oder betatschten. Oder noch Schlimmeres taten.
    Natürlich war der Arzt entsetzt und sagte nein. Und jetzt stand ich hier mit vierunddreißig Jahren und hatte immer noch diese wuchtigen Melonen. Merke: Erstens Geld verdienen. Zweitens Melonen loswerden.
    Aber die Schneiderin war da anderer Ansicht. »Das ist Ihr Hochzeitstag!«, schimpfte sie, und ihr graues Haar knisterte. »Warum wollen Sie sich verstecken?«
    Ich stand da und druckste herum, ertrank in diesem Stoff, der so schwer war, dass ich kaum darin gehen konnte. Dann murmelte ich irgendetwas Bescheuertes, ich würde altmodische Kleider lieben, aber ich merkte, dass sie mir nicht glaubte.
    Sie klemmte sich drei Nadeln zwischen die Lippen, ihre Augen glotzten groß hinter der rosa Brille. »Hmpf«, machte sie. »Hmpf. Tja, ich habe Ihren Verlobten kennengelernt.«
    Es klang vorwurfsvoll. Als sei er ein Verbrecher. »Nun, dann wissen Sie ja, dass er aus einer sehr alteingesessenen Bostoner Familie kommt, die so eine gewisse Art hat.« Ich versuchte, selbstsicher und ein wenig erhaben zu klingen. Meine ehemalige Schwiegermutter in spe konnte das hervorragend. Sie war eine Meisterin darin, anderen das Gefühl zu geben, minderwertig zu sein.
    »Eine alteingesessene,
eingebildete
Familie«, murmelte die Schneiderin in sich hinein. »Und diese Mutter! Wenn die nicht einen Stock im Hintern hat!«
    Sie sprach leise vor sich hin, doch ich hörte es trotzdem.
    »Also gut, Liebes. So möchten Sie es also haben?«
    Wieder durchbohrte sie mich mit ihren scharfen Eulenaugen, und ich konnte mich nicht bewegen, war gefangen wie
eine Maus in der Falle, die wusste, dass sie gleich gefressen würde.
    Die Schneiderin ließ die Hände sinken. »Wirklich?«, fragte sie leise, aber mit all den Nadeln im Mund kam es undeutlich heraus. »Ganz bestimmt?«
    »Ja, natürlich.« Und in dem Moment schrie etwas in mir auf. Hoch, langanhaltend und schrill. Monatelang war alles ruhig gewesen, manchmal hatte ich mein Inneres fast weinen hören, es aber ignoriert. Schließlich war ich endlich verlobt, und ich wollte den Mann nicht vergraulen.
    Das frühere Leben im Trailer hatte ich hinter mir gelassen, hatte mich durch die Schule gequält, gleichzeitig Vollzeit gearbeitet und gegen die wiederkehrenden Albträume meiner Kindheit angekämpft. Ich bekam eine gute Stelle in einem Kunstmuseum. Die Leute dachten wirklich – und das ist das Lustige –, ich sei normal. Der widerliche Geruch von Armut und asozialem Leben war jetzt nur noch als Hauch in meiner Nähe wahrnehmbar.
    Ich versuchte, stolz darauf zu sein.
    Zu dem Zeitpunkt war meine Hochzeit noch genau zwei Wochen entfernt.
    Und genau zwei Wochen später war ich auf der Flucht.
    Ich bückte mich zum rissigen Boden hinunter und klaubte eine Handvoll Erde auf, die ich gegen das Kleid warf. Ein Teil davon landete auf meinem Kopf.
    Ich spuckte aus, wischte mir mit schmutzigen Händen die Tränen aus dem Gesicht. Als ich mein linkes Auge berührte, zuckte ich zusammen. Es war noch immer geschwollen. Verdammt. Das hatte das Fass zum Überlaufen gebracht. Ich wollte nicht mit geschwollenem, blauem, blutunterlaufenem Auge in die Kirche schreiten.
    Dann hätten alle gewusst, wie verzweifelt ich war.
    Auf dem Absatz machte ich kehrt und ging zurück zum Auto. Ich stieg aufs Gas, und der alte Motor protestierte kreischend.
Mein Hochzeitskleid flatterte zum Abschied wie ein Gespenst im Wind. Zum Fürchten.
    Auf Wiedersehen, Hochzeitskleid, dachte ich und wischte neue Tränen fort. Ich bin pleite. Ich habe eine Riesenangst vor der Zukunft. Oft kann ich kaum atmen wegen meiner Angstkrankheit. Ich kann dich

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