Spiel mir das Lied vom Glück
Gott, aber zuerst wollen wir beten«, verkündete Linda. Fromm faltete sie die Hände über ihrer abgegriffenen Bibel und schloss die Augen.
Ich warf einen Blick zu Lara hinüber. Musste sie nicht eigentlich das Gebet sprechen? Schließlich leitete sie doch diese Bibelstunde! Lara verdrehte die Augen und faltete die Hände.
»Lieber Gott, unser Vater und Erlöser«, begann Linda. »Ich danke dir, dass wir hier heute zusammentreffen können, um als gläubige Frauen miteinander zu beten. Bitte lehre uns, geduldiger, freundlicher und hilfsbereiter zu sein und deine Liebe in unseren täglichen Taten zu offenbaren.«
Na, gut. So schlecht klang das Gebet ja nicht. Ich senkte den Kopf.
»Lieber Gott, es sind allerdings Menschen unter uns, die deine Gnade nötiger haben als andere. Du weißt, über wen ich spreche. In dieser Stadt leben so viele Sünder. So viele Menschen haben dich noch nicht als ihren Erlöser erkannt,
sondern gehen auf direktem Weg in die Hölle. Ich habe versucht zu helfen, ich bin dir treu geblieben, aber die Ungläubigen machen es mir schwer. Sie sind so arrogant.«
Lara räusperte sich.
»Lieber Gott, zeige Sandra aus Michaels Frisörsalon, dass sie auf dem Irrweg ist. Wie sie den Jugendlichen die Haare schneidet, das ist eine Sünde, und wie sie mit mir gesprochen hat, als ich ihr sagte, ich würde für ihre Seele beten, war auch eine Sünde, eine furchtbare Sünde. Lieber Gott, ich bete für Carl Seaton, der mich von seiner Haustür verjagt hat. Ich musste ihm doch sagen, dass ich ihn in der Kneipe gesehen hatte, und Satan macht sich den Alkohol zunutze. Lieber Gott, bitte hilf den Frauen aus meinem Nähkreis. Sie legen keinen Wert auf meine Hilfe und wollen meine Vorschläge nicht hören, wie sie sich bessern können. Und bitte vergib Daisy Canelly. Sie geht nie zur Kirche und hat mir gesagt, dass Dinosaurier vor uns auf der Erde waren, und dass jeder den Kopf in den Sand steckt, der der Wissenschaft nicht glaubt. Ich weiß, dass du sie bestrafen wirst, aber bitte lass sie ihren Fehler einsehen. Zeige ihr, dass du Adam und Eva geschaffen hast, dass wir nicht von Affen abstammen –«
»Vielen Dank, Linda«, unterbrach Lara das Gebet. »Ich mache weiter. Wir danken dir, o Herr, für diese Zeit, die wir miteinander verbringen dürfen, für diesen Tag. Wir danken dir für die Freundschaften, die wir innerhalb und außerhalb dieser Gemeinde geschlossen haben. Wir danken dir, dass du auf uns aufpasst und uns zeigst, wie wir mit dir an deiner himmlischen Gnade teilhaben können. Im Namen Jesu Christi, Amen.«
»Amen«, antworteten wir anderen ziemlich laut.
»Mrs.Keene«, sagte Linda eingeschnappt, griff zu ihrem Kreuz und fuchtelte damit vor Lara herum. »Ich weiß, dass Sie jung und noch nicht so lange in dieser Gemeinde sind und dass Sie noch viel zu lernen haben, aber Sie sollten immer darauf
achten, niemanden beim Beten zu unterbrechen.« Linda rückte ihre Brille zurecht und richtete sich auf.
»Danke für den Hinweis, Linda, ich werde es mir merken«, sagte Lara mit fest gefalteten Händen. »Aber wir alle müssen im Geiste unseres Herrn beten.«
»Außerdem, junge Dame«, fuhr Linda fort und wurde so rot wie ein Weihnachtsstern, »müssen Sie die Menschen aus Golden in Ihr Gebet einschließen, damit Gott weiß, dass wir uns in dieser Gemeinde umeinander kümmern und die Sünden der anderen bemerken und für ihre Seele beten.«
Ich sah, dass Lara schluckte. Ihre Augen blitzten. »Wir alle möchten für andere Menschen beten. Aber wir müssen mit Liebe und Vergebung im Herzen für andere beten, nicht beschuldigend und vorwurfsvoll. Jesus liebt jeden. Wir müssen versuchen, wie Jesus zu leben, und der hat nicht die Namen von Menschen genannt, um sie zu verspotten.«
»Niemand, Mrs.Keene«, sagte Linda bebend, »möchte hier irgendwen verspotten. Schon gar nicht ich. Aber ich werde heute für Sie beten, Mrs.Keene, damit der Herr Ihnen Ihren Platz im Leben zeigt, als Dienerin Ihres Mannes und unseres Herrn Jesus Christus.«
»Ich kenne meinen Platz im Leben, Linda, aber wir sind hier in meinem Haus, und ich fordere Sie mit Gottes Liebe im Herzen auf, nicht mehr die Namen von Bewohnern dieser Stadt zu nennen, wenn Sie die Sünden aufzählen, die diese Menschen Ihrer Meinung nach begangen haben.« Mit zusammengepressten Lippen schlug Lara die Bibel auf. Donnerwetter! War das die Sorte Mensch, mit der sich Pfarrersfrauen ständig herumschlagen mussten? Linda Miller war eine ausgewachsene
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