Spiel mir das Lied vom Glück
Heuchlerin. Kein Wunder, dass sie alles und jeden hasste.
»Sünden, Schmünden, Hünden!«, rief eine der Zwillinge, die offenbar nicht länger zuhören wollte. Ich glaube, es war Jacqueline. »Lasst uns jetzt in der Bibel lesen!«
»Bibel, Bibel!«, forderte der andere Zwilling und hob das
Buch mit beiden Händen hoch. »Ich bin so alt, dass ich jeden Moment tot umfallen kann, und da ich so viel Zeit zum Sündigen hatte, muss ich jetzt dringend anfangen, meinen Arsch zu retten!«
»Ihren Arsch zu fetten!«, echote ihre Schwester.
Ich setzte mich auf und funkelte Linda böse an, als sie wieder ihren unverschämten Mund aufmachte. Ihre Lippen waren mit billigem Lippenstift bemalt.
»Mrs.Keene, wir wollen unsere Differenzen einmal kurz beiseitelassen. Ich weiß, dass Ihr Mann Sie später belehren wird, was das Beten betrifft. Ich sage meinem Mann, dass er mit ihm reden soll. Als langjähriges Gemeindemitglied wird er dieses Problem verstehen. Machen wir jetzt weiter, ich werde später deswegen beten. Ich glaube, uns wurde noch nicht Ihre junge Freundin vorgestellt. Katie Margold kennen wir alle schon, glaube ich.«
Kurz dachte ich, Lara würde ausflippen. So richtig. Sich auf den Tisch stellen und Linda Miller Apfelsaft auf die hochtoupierte Frisur gießen. Stattdessen schaute sie auf die Bibel, holte tief Luft und lächelte uns alle an. »Ihr Lieben, das ist meine Freundin Katie Margold, die die meisten von euch kennen, und das ist Julia Bennett. Julia wohnt bei ihrer Tante Lydia am Stadtrand. Und das hier ist Deidre. Sie ist gerade hergezogen, ist aber in der Gegend aufgewachsen. Linda hat sie eingeladen. Sie haben sich gestern beim Frisör kennengelernt.«
Alle Frauen lächelten mich an, ich lächelte zurück und versuchte, ein freundliches Gesicht zu machen.
Nur Deidre sah aus, als würde sie jeden Moment ohnmächtig werden. Ihre Lippen bewegten sich krampfhaft. Linda machte einen sehr misstrauischen Eindruck. Ich hielt kurz inne und entspannte mich ein klein wenig. Die anderen Frauen sahen nett aus. Waren sie es auch? Oder würden sie, sobald ich fort war, mich als Ungläubige verurteilen? Bei diesen Kirchenfrauen wusste man nie.
»Lydia Schmydia!«, sagte Rosita lächelnd. Ihre braunen Augen glühten. »Die mag ich. Sie hat mir einmal eine spezielle Zigarette gegeben, als ich Probleme mit der Hüfte hatte. Danach ging’s mir ganz wunderbar. Hab damals sechs von ihren Brownies gegessen. Weißt du noch, Jacqueline?«
Ihre Schwester nickte. »Allerdings!«, rief sie. »Und wie! Die beste Zigarette, die ich je geraucht habe.«
Ich unterdrückte ein Lachen, die anderen Frauen ebenfalls.
Linda sah aus, als würde sie jeden Moment durchdrehen, was es nur noch lustiger machte. Irgendwie war es richtig klasse zu beobachten, wie sie ihre Lippen zusammenkniff, sodass sie fast in ihrem aufgedunsenen Gesicht verschwanden.
Ich schaute Katie an. Sie lachte nicht, sondern starrte über den Tisch. Sie schien gar nicht zuzuhören. Ich folgte ihrem Blick: Katie ließ Deidre nicht aus den Augen. Deidre wand sich unter Katies Blick. Was war hier los?
»Nun, es ist schön, dass Sie hier sind, junge Frau. Ihre Tante Lydia … nun ja … «, fauchte Linda. »Sie könnte selbst ein bisschen öfter in der Bibel lesen. Sie flucht, sie trinkt, sie pokert. Und treibt sich mit diesem Stash herum, aber geht nie in die Kirche, um unseren Herrn zu preisen. Ich werde für sie beten. Sie braucht es. Das weiß ich, und Gott weiß es auch.«
Ich war sprachlos. Tante Lydia war die Freundlichkeit in Person. Ihr Haus stand für die halbe Stadt offen. Jeder mochte sie, und das aus gutem Grund.
»Und Sie!« Linda zeigte auf mich. »Sind Sie erlöst?«
Mit scharfer Stimme schaltete sich Lara ein. »Mrs.Miller, das ist völlig unangemessen. Wir sind hier, um an Gottes Gnade teilzuhaben, um zu lieben und zu lernen. Wir sind nicht hier, um unsere Gäste zu verurteilen, zu verunglimpfen oder sie zu erniedrigen.«
»Gäste, Schmäste«, schimpfte Rosita und sah mich an. »Ist Lydia gleich zu Hause? Ich könnte gut eine von ihren Zigaretten gebrauchen.«
»Zigaretten, Migaretten«, gackerte Jacqueline und klopfte auf ihr Hörgerät.
»Zigaretten, Migaretten«, wiederholte Rosita und tat, als würde sie eine Zigarette rauchen. Beide Schwestern lachten mit tiefer, glucksender Stimme, dann immer höher, weil sie über sich selbst lachen mussten. Sie hörten nicht mehr hin, sondern unterhielten sich über Zigaretten, Migaretten.
»Meine Tante
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