Spiel mir das Lied vom Glück
und seine arrogante Art überforderten mich, doch die Ironie der Situation blieb mir nicht verborgen. Ich freundete mich gerade mit einer Frau an, die in genau derselben Situation war wie ich selbst noch vor wenigen Wochen.
»Ich … ich besuche meine Tante.« Ich schaute auf unsere Hände. Auch Katie bemerkte es. Sie sagte: »Lässt du vielleicht mal ihre Hand los, J. D.?«
Er warf seiner Frau einen bitterbösen Blick zu und gab mich dann frei. Dann stemmte er die Hände in die Hüften.
»Sind Sie die Freundin von meiner Katie?«, giftete er. »Sind Sie mit dieser Frau befreundet, die sich nicht einen Deut um ihren Mann kümmert?«
Er war furchtbar. Und gehässig.
»Ich bin gut mit Ihrer Frau befreundet«, erklärte ich. »Ich denke, wir müssen jetzt los, Katie«, fügte ich hinzu und versuchte, an J. D. vorbeizukommen. Aber er versperrte mir den Weg. Als ich nach links ging, machte er einen Schritt nach rechts.
Meine Knie wurden weich.
»Warum so eilig? Ich habe Sie doch noch gar nicht richtig kennengelernt. Sind Sie mit Ihrem Mann hier, Julia?«, fragte er. Sein stinkender Atem legte sich auf mich. Ich machte einen Schritt zurück und spürte Katie hinter mir.
»Nein«, sagte ich ganz leise.
»Nein?« Er hob eine schwarze Augenbraue. »Heißt dass, Sie haben keinen Mann, oder Sie sind ohne ihn hier?«
»Ich bin nicht verheiratet. Ich bin der Meinung, dass Männer einer Frau nichts zu bieten haben.« Woher ich den Mut nahm, so etwas von mir zu geben, weiß ich nicht. Ich wusste nur, dass J. D. ein gemeiner, ekelhafter Hurenbock war.
Ich sah die Gewitterwolken in seinem Blick. »Eine ganz Schlaue, was? Genau wie meine Katie. So eine wie du sieht aus, als wüsste sie genau, an welchen Knöpfen sie bei einem Mann drehen muss, genau wie meine Katie.«
»Es reicht, J. D.«, sagte Katie leise, aber bestimmt.
»Es reicht, J. D.«, äffte er sie nach. »Was ich von dir kriege, reicht nie, so viel steht fest. Aber deine Freundin« – wieder dieser Blick – »die sieht aus, als ob sie wüsste, wie man einen Mann verwöhnt, auch wenn sie ein freches Mundwerk hat.«
Schnell wich ich nach rechts aus, und Katie legte mir die Hand auf den Rücken und schob mich an dem Wildschwein vorbei. Dann sammelten wir die Kinder ein, die im Wohnzimmer auf der Couch hockten, und marschierten aus der Tür. Das dröhnende Lachen des Keilers verfolgte uns, er klang wie ein drogenkranker Irrer.
»Du hast vergessen, mir mein Essen hinzustellen, Katie!«, schrie er uns nach.
Katie, die Kinder und ich drückten uns in den Pick-up. Auf der Fahrt sprachen weder Katie noch ich sehr viel. Ich hatte die Hände gefaltet und zitterte. Tränen liefen Katies Wangen hinunter.
»Tut mir leid«, flüsterte sie.
»Mir auch.« Ich nahm die Hände auseinander und griff mit meinen kalten Fingern nach Katies Hand. So fuhren wir zu Lara.
8
Laras Haus ist klein, aber sehr sauber und aufgeräumt. Es ist ein Haus im Ranchstil mit dem gleichen Grundriss, den Abermillionen Häuser im ganzen Land haben.
Alle Wände sind hellbeige gestrichen, die Möbel tragen Schutzhüllen. Das Gehalt eines Pfarrers erlaubt keine Neuanschaffungen. Deshalb hatte Lara ihre Nähmaschine hervorgeholt und Hussen genäht. (»Ich konnte sozusagen schon nähen, bevor ich richtig sprechen konnte. Jede gute Pfarrersfrau bringt ihrer Tochter das Nähen bei«, hatte Lara mit einem Anflug von Bitterkeit erklärt. »Damit sie jedes Jahr die Kostüme für die Kinder bei der Weihnachtsaufführung nähen kann.«)
Das Haus hatte einen kleinen Aufenthaltsraum mit Essecke, ein Wohnzimmer, drei Schlafzimmer und einen Dachboden. Jeder Raum war sparsam möbliert und wirkte langweilig. Alles machte einen altmodischen, muffigen, korrekten, phantasielosen Eindruck, als hätte Lara bei der Einrichtung das Bild vom perfekten Haus einer Pfarrersfrau vor Augen gehabt. Ich zählte drei Bibeln und drei Kreuze, zwei Jesusbilder und zig religiöse Bücher.
Ich rief mir in Erinnerung, wie Lara mit offenem Haar aussah, wie sie sich benahm und was sie sagte, wenn sie etwas getrunken hatte. Das Haus passte überhaupt nicht zu ihr. Es sah aus, als hätte man einen Pfau mitten in der Wüste ausgesetzt. Es machte mir eine Gänsehaut. Hier hatte alles seinen Platz, alles stand an seinem Ort. Es kam mir vor, als sei Lara hier ebenso fremd wie ich.
»Haben alle diese Woche in der Bibel gelesen?«, fragte Linda Miller die neun Frauen, die sich um Laras Küchentisch versammelt hatten.
Schon als Linda zur
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