Spiel mir das Lied vom Glück
Ich wunderte mich,
weil Caroline nie davon gesprochen hatte, sich für Kunst zu interessieren.
Tante Lydia schlug vor, dass wir alle nackt für Lara Modell standen. »So würden wir Zeugnis ablegen für unsere Psycho-Abende!«
Katie verdrehte die Augen.
Ich sagte: »Nur über meine fette Leiche.«
Caroline meinte, sie würde erst dann nackt Modell stehen, wenn Jupiter und Saturn die Plätze tauschten.
Katie schüttelte noch immer ungläubig den Kopf. »Ich habe keine Ahnung von Kunst, Lara, aber deine Bilder sind … ich weiß nicht … sie sind so gut wie Julias Schokolade!«
Wir drehten noch eine Runde über Laras Dachboden, ließen uns von ihr erklären, was ihre Bilder ihr bedeuteten, was sie damit vermitteln wollte.
Ich wusste, dass ich etwas Hervorragendes vor mir hatte.
Als wir es uns wieder gemütlich gemacht hatten, sagte uns Caroline die Zukunft voraus. Erstaunlicherweise sah sie in Laras Zukunft keine Kunst, sondern lediglich, wie Lara alleine Schlittschuh lief. Dann bei einer gutbesuchten Party. Gäste kamen auf sie zu und sprachen mit ihr. Dann war sie wieder allein.
»Du machst das schon, Lara«, versicherte Caroline ihr. »Hör auf dein Herz.«
Tante Lydia hatte mir erklärt, wenn Caroline fertig sei, würde sie nichts mehr hinzufügen. Sie erklärte sich nie.
Als Nächstes nahm Caroline Katies Hände in die ihren. Die beiden saßen sich im Schneidersitz gegenüber auf dem Boden. Caroline schloss die Augen, dann zuckte sie zusammen, als hätte sie einen Stromschlag bekommen. Sie sah Katie in die Augen. »J. D. kommt zurück.«
Katie stöhnte.
»Ich sehe dich mit Julia. Und Stash. Und ein paar von Stashs Leuten. Du ziehst aus.« Caroline schloss die Augen. »Du bist
froh, Katie. Du hast Angst, aber du bist froh. Ich sehe die Kinder auf der Veranda. Sie freuen sich auch. Bleib in dem Haus mit der Veranda!«
Dann war Tante Lydia an der Reihe. »Ich sehe dich an einem langen Tisch. Ich bin auch da. Stash ebenfalls. Julia und Dean. Aus irgendeinem Grund sehe ich zwei Kinder. Ich kenne sie nicht. Sie sind nicht in einem Zimmer mit dir, aber sie sind dabei. Du bist wütend, Lydia. Da ist noch eine Frau. Eine Frau, die du hasst. Ich sehe wieder die Gesichter dieser Kinder. Das ist alles.«
Als Nächste war ich dran. Caroline und ich nahmen Platz und fassten uns an den Händen. Ich schaute in ihre großen grünen Augen. Das Augenlid zuckte leicht, doch am Ende unserer Sitzung sollte es heftig zucken.
Anfangs lächelte Caroline noch. »Ich sehe dich in der Küche. Es ist spätnachts. Du schmelzt Schokolade. Ich sehe dich vor einem Mietshaus. Du schaust hoch zu einer Wohnung. Du hast Angst, bekommst keine Luft. Das ist wirklich interessant. Ich sehe wieder diese beiden Kinder. Sie sind nicht in Sicherheit. Merk dir das, Julia. Die Kinder sind nicht in Sicherheit!«
Mir gefror das Blut in den Adern.
Caroline lächelte nicht mehr, ihre schmalen Hände in meinen waren kalt. Sie begann zu zittern. »Da sind Briefe.«
»Was?«
»Da sind Briefe, von der Post. Du bekommst böse Briefe, Julia. Und ich sehe dasselbe wie beim letzten Mal: Er kommt. Er ist auf dem Weg.«
16
Unsere Lesestunde war Stadtgespräch. Immer mehr Mütter und Großmütter kamen mit Kindern und Enkelkindern. Ms. Cutter hatte einsehen müssen, dass wir mehr Platz brauchten. Der Kinderbereich wurde vergrößert. Ms. Cutter hatte sich sehr darüber aufgeregt, dafür die Abteilung für Steuerrecht auflösen zu müssen, doch keinen der Gäste, die sich freiwillig meldeten, um mir beim Umräumen der Regale und Bücher zu helfen, schien das irgendwie zu stören.
Ich bestand darauf, dass die Vorhänge im Kinderbereich geöffnet wurden, ging zur Bibliotheksverwaltung und erhielt die begeisterte Aufforderung, den Raum umzugestalten. Ich bedankte mich für den Scheck. Im Gegenzug bedankte man sich für meine hervorragende Arbeit.
Ich muss gestehen, ich war ein wenig stolz.
Lara kam und malte ein riesiges Dschungelbild an eine Wand der Kinderecke. Dann kaufte ich Sitzsäcke, zwei große Teppiche und blaue Tische und Stühle in Kindergröße. Ich hängte Mobiles mit Dschungeltieren und Planeten auf. Und ich führte ein Belohnungssystem ein. Wenn ein Kind fünf Bücher gelesen hatte, durfte es einen Stern ausmalen. Bald war eine ganze Wand voller Sterne.
Wenn ich Tante Lydia abends bei den Hühnern, den Schweinen und der übrigen Arbeit half, überlegte ich mir etwas für die Lesestunde am folgenden Tag.
Einmal las ich drei Geschichten
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