Spiel mir das Lied vom Glück
sie.
Ich beneidete sie nicht um ihre Probleme. Ich hätte das ganze Haus mit der Zunge blankgeleckt, um einen Mann wie Jerry zu haben, der abends auf mich wartete, aber Lara war da anders. Ihre Leidenschaft war die Kunst. Sie konnte ohne die Malerei ebenso wenig leben wie ich ohne Herz.
Wir hörten, wie es an der Haustür klopfte. Lara wischte sich die Augen trocken. Ich holte tief Luft. Ich brauchte Schokolade.
»Das bleibt bitte unter uns.«
»Alles klar«, sagte ich und hielt sie am Arm fest. »Habt ihr den Psycho-Abend schon mal hier oben gemacht?«
Sie riss die Augen auf. »Nein, wo denkst du hin!«
»Wäre mal eine Idee.«
»Auf gar keinen Fall!«
»Doch«, sagte ich. »Doch.«
Lara schlotterten die Knie, als wir nach dem Essen die Treppe zum Dachboden emporstiegen. Tante Lydia hatte Lasagne mit Knoblauch gemacht, der die überschüssigen Hormone ersticken sollte, Caroline hatte zwei lecker aussehende Salate mitgebracht, und Katie war etwas später gekommen, weil sie ihre
Kinder noch zum Babysitter bringen musste. Sie hatte Käsestangen als Appetitanreger dabei.
»Ich war noch nie bei dir auf dem Dachboden«, sagte Caroline mit sanfter, leiser Stimme. Ihr Auge zuckte nur leicht. »Ich freue mich darauf, deine Bilder zu sehen.«
»Ich auch«, sagte Katie. »Ich wusste nicht mal, dass du einen Dachboden hast.«
Ich musterte Katie genau. Heute wirkte sie nicht so blass und erschöpft. Nein, sie sah viel besser aus, ihr Lächeln war nicht so angespannt wie sonst, als kralle sie sich mit den Fingern am letzten bisschen Leben fest.
Lara wirkte, als sei ihr übel, und ich hatte ein schlechtes Gewissen, weil ich ihr vorgeschlagen hatte, den Psycho-Abend in ihrem Atelier abzuhalten. Andererseits waren ihre Arbeiten absolut eindrucksvoll, und mein Bauch sagte mir, dass Lara eine Anerkennung ihrer Arbeit brauchte.
Lara stieß die Tür auf und trat ein. Ich folgte ihr und beobachtete genau die Reaktion von Tante Lydia, Caroline und Katie.
Ich wurde nicht enttäuscht.
Ihnen fiel die Kinnlade herunter. Sie machten große Augen. Gaben staunende, bewundernde Laute von sich. Caroline ließ die Tasche fallen, die sie für den Psycho-Teil von »Meine Hormone und ich« mit auf den Dachboden genommen hatte.
Die Stille war so laut, dass wir eine Stecknadel zu Boden hätten fallen hören können.
»Donnerwetter«, sagte Katie und ging kopfschüttelnd mit großer Vorsicht zu einem von Laras Bildern. Es war das Porträt einer Frau, die mit ausgebreiteten Armen und Beinen in einem Feld lag, bekleidet lediglich mit einer Schürze. Über ihr türmten sich Gewitterwolken. Die Schürze war mit Hilfe kleiner Stofffetzen auf die Leinwand geklebt.
»Wahnsinn!«, rief Tante Lydia und betrachtete ein Bild mit zwei identisch aussehenden Frauen, die sich anschauten. Die
eine hatte eine Schlange um den Hals, die andere eine Blumenkette. Die Kette hatte Lara aus getrockneten Blüten geformt, die Ohrringe der Frauen waren Modeschmuck.
»Unglaublich«, flüsterte Caroline und starrte das Gemälde einer Frau an, die ein Vogelnest in der Hand hielt. Das Oberteil der Frau bestand aus Zeitungsausschnitten von furchtbaren Naturkatastrophen.
In die Zweige des Nestes hatte Lara winzige Marienkäfer, Würmer, Schmetterlinge und Vögelchen gemalt. Caroline wanderte durch den ganzen Raum und sah sich die gestapelten Leinwände an. Als sie das Bild mit dem Mann und der Sonnenblume sah, nickte sie lächelnd.
Während wir Laras Bilder lobten und ihre Wandgemälde bestaunten, wurde sie nach und nach erkennbar lockerer. Eine Stunde später holte ich den Maulwurfskuchen nach oben. Wir setzten uns einfach auf den Boden, um den Nachtisch zu essen.
»Mensch, du bist echt klasse, Lara«, sagte Tante Lydia und schüttelte voller Verwunderung den Kopf. »Richtig klasse.«
Katie nickte. »Verdammt gut.«
Caroline lächelte. Und zwinkerte.
Wir schenkten uns Wein nach und prosteten Lara zu.
Sie weinte.
Die Hormondiskussion wurde auf einen anderen Abend verschoben, da wir über Laras Malerei sprachen. Zum ersten Mal trank Lara weniger. Ihr Gesicht verlor diesen verkniffenen, angespannten Ausdruck. Mehrmals lächelte sie sogar, was sie zu einem ganz anderen Menschen machte.
Zu meiner Überraschung hatte Caroline zahllose Tipps und Informationen, wie Lara ihre Kunst verkaufen könne. Sie nannte sogar die Namen von Personen und Galerien, bei denen sich Lara melden könne. Die beiden von ihr erwähnten Galerien genossen landesweites Ansehen.
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