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Spiel mir das Lied vom Glück

Spiel mir das Lied vom Glück

Titel: Spiel mir das Lied vom Glück Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Cathy Lamb
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»Die … Ihre Brosche ist schön.«
    Sie flüsterte die Worte lediglich. Ein leises, hohes, verängstigtes Wispern, und im ganzen Raum wurde es so still wie in einem versunkenen Schiff. Zum ersten Mal war Ms. Cutter sprachlos. Sie starrte Carrie Lynn an und öffnete mehrmals den Mund, wie ein Kugelfisch.
    »Meine Brosche?«
    Carrie Lynn errötete. Hilfesuchend sah sie mich an, legte mir einen Arm um die Taille, duckte sich hinter mich, als rechnete sie mit einem Schlag.
    »Welche Brosche, Carrie Lynn?«, fragte ich und legte den Arm um ihre schmalen Schultern.
    Sie zeigte darauf.
    Wie in Zeitlupe folgte ich der Richtung, in die ihr kleiner Finger wies: auf eine mit Blüten verzierte Metallbrosche an Ms. Cutters linker Brust. Sie trug sie jeden Tag. In der Mitte waren glänzende blaue und violette Steine.
    Ms. Cutters Augen hinter den Brillengläsern schienen ihr fast aus dem Kopf zu fallen.
    Dann richtete sie sich auf. Zog die Nase hoch. Hustete. Schniefte erneut.
    »Ich finde die Blume schön«, flüsterte Carrie Lynn mit unsicherer Stimme.
    Ohnmächtige Wut stieg in mir auf. Warum musste Ms. Cutter den Kindern so viel Angst machen? Wenn sie jetzt nicht sofort etwas Liebes zu der kleinen, niedergeschlagenen Carrie Lynn sagte, würde ich und die Regale mit den Klassikern umwerfen.
    »Ich finde Ihre Brosche auch schön, Ms. Cutter«, sagte Shawn leise, der jetzt an meiner anderen Seite stand. »Sie erinnert Carrie Lynn und mich an ein Feld mit ganz vielen Blumen, das wir mal gesehen haben. Über das Feld hüpfte ein Hase. Es war wirklich schön.«
    »Ähm … also«, Ms. Cutter war noch stärker durcheinander als zuvor. Sie machte wieder den Kugelfisch: Mund auf, Mund zu.
    »Ähm … tja … « setzte sie erneut an. »Vielen Dank, Carrie Lynn. Danke schön, Shawn.« Ihre Halsmuskeln arbeiteten heftig. »Diese Brosche hat mir meine Mutter vor dreißig Jahren geschenkt. Zwei Wochen später ist sie gestorben. Es ist meine Lieblingsbrosche, weil es auch ihre war.«
    Wir bildeten einen betretenen Kreis – Carrie Lynn, Shawn, Ms. Cutter und ich.
    »Stellt die Stühle weg, wenn ihr fertig sein«, befahl Ms. Cutter, dann wandte sie sich mit weit schwingendem Rock ab. Mir entging nicht, dass sie sich im Gehen eine Träne von der Wange wischte. Sie drückte den Rücken durch, ihre vernünftigen Schuhe mit den flachen Absätzen verursachten kaum einen Laut, ihr Haar war wie immer zu einem Knoten gebunden, den sie exakt auf der Mitte des Hinterkopfes trug.
     
    Anschließend brachte ich die Kinder heim und wartete, bis sie im Haus verschwunden waren. Es wurde mir schwer ums Herz,
wenn ich das schwarze Loch sah, in dem sie leben mussten. Ich dachte an Carolines Warnung, wusste aber nicht, was ich tun sollte. Ich hatte das Jugendamt angerufen. Es hatte nicht reagiert, sich schlichtweg geweigert. Wenn ich die Kinder zu mir holte, würde die Mutter zur Polizei gehen.
    Ich kaufte ein Sweatshirt für Shawn und einen Pulli für Carrie Lynn. Die Kleine legte tatsächlich die Decke aus der Hand, um den Pulli zu befühlen. Ich sagte ihnen, sie dürften die Sachen erst am nächsten Tag anziehen, da ich nicht wollte, dass Ms. Cutter von meinen Geschenken erfuhr. Außerdem hatte ich ihnen etwas zu essen eingepackt.
    Ich machte mir Sorgen, was ihre Mutter wohl zu den Geschenken sagen würde. Aber wahrscheinlich würde sie sie gar nicht bemerken.
    Allein der Gedanke, dass diese Kinder in Gefahr waren, führte im Auto zu einem kleinen Anfall von Angstkrankheit.
    Als er vorbei war und ich wieder atmen konnte, fuhr ich nach Hause.
     
    Am nächsten Tag rief Caroline an und fragte, ob ich mit ihr in eine nahe gelegene Stadt fahren wolle, eine gute Autostunde entfernt. Dort gäbe es einen Goodwill-Laden, Caroline wollte einkaufen gehen.
    Als Kind hatte ich Goodwill-Läden geliebt. Ich lief durch die Gänge und stellte mir vor, was ich kaufen würde, wenn ich Geld hätte, wie ich diesen oder jenen Rock mit dieser Bluse, jenen Schuhen und jener Tasche kombinieren würde. Ich kann mich nicht erinnern, dass ich jemals neue Sachen bekam. Erst als ich auf der High School war und arbeitete, konnte ich mir selbst welche leisten.
    Gerne erklärte ich mich einverstanden, Caroline zu begleiten. Ich hatte sowohl Geld von der Bücherei als auch von der Zeitung erhalten. Wenn ich bezahlt wurde, stellte ich zuerst einen Scheck für Tante Lydia aus. Beim ersten Mal weigerte sie
sich, ihn anzunehmen, ich würde ihre innere Rose verletzen, die Blume des

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