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Spiel mir das Lied vom Wind

Spiel mir das Lied vom Wind

Titel: Spiel mir das Lied vom Wind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carola Clasen
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Roggenmeier sie loswerden wollte, aus seiner Sicht verständlich und akzeptabel. Warum er so ein Geheimnis um Herrmanns Verbleib machte, war ihr allerdings schleierhaft. Die Vermisstenanzeige konnte ihr gestohlen bleiben.
    Sie gingen beide nicht mit leeren Händen, Bruno hatte ein Spielzeugauto abgestaubt, und sie hatte einen weiteren Tipp, der sie dem unseligen Herrmann näherbrachte. In der Euskirchener Polizeibehörde mit der Suche zu beginnen, war die richtige Entscheidung gewesen. Sie wusste, Herrmann war ein fauler Hund. Wenn er wirklich von Köln in die Eifel gezogen war, so würde er sich nur in den Ortschaften aufhalten, die für ihn bequem zu erreichen waren. Das war, rein geografisch gesehen, der Norden. Dass er für die Euskirchener Polizei bereits ein »Fall« war, fand sie völlig normal. Herrmann Krux war von Natur aus ein Fall. Ein Reinfall.
    Er hatte viele Arbeitsstellen angefangen und nach ein paar Tagen wieder hingeworfen. Er konnte sich nicht unterordnen oder anpassen. Er war kein Spießer, er war ein Freigeist.
    Den einzigen Verein, dem er sich jemals angeschlossen hatte, hatte er erst vor einem halben Jahr überstürzt verlassen, weil er Krach mit einigen Mitgliedern bekommen hatte. Kein Wunder, Herrmann bekam mit jedem Krach. Er sei eben kompromisslos, war seine Erklärung, und gradlinig. Melinda nannte sein Verhalten egoistisch. Sie wusste nicht, was für ein Verein der letzte gewesen war. Irgendetwas Politisches, wenn sie sich richtig erinnerte. Keine Partei. Zwei Mitglieder liefen Herrmann heute noch nach. In regelmäßigen Abständen riefen sie Melinda an oder standen plötzlich vor der Haustür und fragten nach ihm. Seltsame, undurchschaubare Typen. Was sie von ihm wollten, mochten sie nicht sagen. Melinda fühlte sich manchmal beobachtet. Wenn sie mit Bruno spazieren ging oder in der Stadt einkaufte, hatte sie das Gefühl, sie stünden hinter Bäumen oder in Türeingängen oder säßen in Autos.
    Melinda schüttelte den Kopf und wirbelte die Kreolen durcheinander. Die Sonnenbrille verrutschte. Brunos Kommentar, als sie den Parkplatz der Kreispolizeibehörde Euskirchen verließen, war ein letztes »Polilei«, bevor sein Kinn auf die Brust sank und er erschöpft einschlief. Seine Beine fielen auseinander. Das Streifenwagen-Spielauto blieb fest in seiner Faust. Wenn er schlief, war er ein Engel.
    Das blieb er auch, während Melinda von Euskirchen nach Gemünd fuhr, sich in der Postfiliale das Telefonbuch für die Kreisstadt Schleiden schnappte und bis zum Buchstaben S durchblätterte. Senger gab es vierundzwanzig Mal. Zu Gemünd gehörten sieben Orte. Ohne den Vornamen der Kommissarin oder den Ortsteil von Gemünd zu kennen, in dem sie wohnte, war das Vorhaben zum Scheitern verurteilt.
    Ein Anruf beim Einwohnermeldeamt, und sie wusste, dass sich die Bediensteten auch hier, wie in allen anderen Einwohnermeldeämtern zuvor, an die Dienstvorschriften hielten und keine Auskünfte an Privatpersonen gaben. Ihr blieb also nur die Ochsentour.
    In Gaststätten, Supermärkten und Tankstellen von Gemünd erkundigte sie sich nach ihrem Ehemann und nach einer Polizistin mit Namen Senger, die angeblich in einem Forsthaus am Ende einer Stromleitung wohnte. Melinda zeigte nicht nur das Foto des Gesuchten, sondern auch das seines Autos, mit dem er unterwegs war: ein weißer VW-Bus aus den Siebzigern, der mit bunten Aufklebern gepflastert war. An den hinteren Fenstern hingen Gardinen, die Melinda selbst genäht hatte, als ihre Beziehung noch frisch und gut gewesen war, und sie auf den umgeklappten Rücksitzen auf Reisen miteinander geschlafen hatten. Das war vor Bruno gewesen.
    Von einer Polizistin namens Senger hatte noch nie jemand etwas gehört. Forsthäuser in Gemünd und den zugehörigen Ortschaften gebe es Hunderte, hieß es. Stromleitungen auch. Auch Forsthäuser mit Stromleitungen. Den weißen Bus glaubten einige Befragten gesehen zu haben. Immerhin. Melinda war für jede noch so kleine Spur dankbar.
    Sie kaufte in der Fußgängerzone in einer Buchhandlung eine Straßenkarte und in einem Eiscafé ein Eis für Bruno. Während der Kleine in seinem Kindersitz das Spielzeugauto verschmierte, weil er vom Eis zuerst die Waffel aß, schlug sie einen imaginären Kreis um Gemünd, den sie bei Nichterfolg erweitern würde. Auf der vorerst kleinen Route lagen im Uhrzeigersinn die Ortschaften Mauel, Nierfeld, Olef, Malsbenden und Wolfgarten.
    Sie legte die Straßenkarte auf den Beifahrersitz, startete den Motor

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