Spiel mir das Lied vom Wind
und blähte stolz seine Wangen auf, auf denen sich ein paar Nester aus roten Pickeln angesiedelt hatten. Seine Nase war gerötet. Ihr Mitleid wegen seiner Pollen-allergie hielt sich in Grenzen.
»Seitdem du die Fäden in der Hand hast,« meinte sie ohne Begeisterung. »Und wo steht Kruxens Bus nun?«
»In der Kriminaltechnik bei mir in Bonn.«
»Ha! Ha! Wo stand er, wollte ich wissen.«
»Das sag ich dir besser nicht.«
»Wie du willst. Nur, dann hätten wir uns besser heute den Bus vorgenommen, anstatt nach Rotterdam zu fahren.«
»Auf keinen Fall«, protestierte er. »Erstens läuft er uns nicht weg. Zweitens habe ich den ausführlichen Bericht natürlich angefordert. Keiner von uns muss sich an diesem Teil die Hände schmutzig machen. Außerdem, wenn ich einmal etwas sage, dann …
»… bleibt es auch dabei«, vollendete Sonja, lehnte sich zurück und schloss die Augen. Sie wünschte, sie wären endlich da, nein, wieder zurück, im Forsthaus. Mit jedem Kilometer, den sie Johan van Kessel näherkam, wurde ihr bewusst, dass sie auf eine Begegnung mit ihm und damit einem erneuten Zusammenstoß mit ihren Sünden in Wesselings Gegenwart gut verzichten konnte. Aber das war es nicht allein.
Ihr Fahrer war anstrengender als der Verkehr. Bis Venlo hatte Wesseling in gewohnter Manier die Kilometer hinter sich gelassen wie im Rausch, aber auf der Grenzlinie war er in die Eisen gegangen und hatte das Schleichen angefangen, mit der Erklärung, er kenne die Gesetze nur zu gut. Sie seien hart in den Niederlanden. Er wolle weder seinen Führerschein verlieren, noch sein Auto, von den Kosten einmal abgesehen. Außerdem sehe er sich als Oberstaatsanwalt in einer Art Vorbildfunktion.
»Für die Jugend«, ergänzte Sonja und sah aus dem Seitenfenster. Auf niederländischen Autobahnen zu fahren, fand sie entsetzlich langweilig. Die Autos flossen ruhig und gemäßigt daher wie Wasser in einem Kanal. Ein Gefühl, als ginge es nicht voran. Das Land schien größer zu sein, als es war, und das war angesichts der eintönig platten Gegend bedrückend. Nicht eine einzige Windmühle winkte den Reisenden auf der Autobahn zu.
Zwischen Venlo und Dordrecht hatte Wesseling Sonja unaufgefordert alles berichtet, was er über die Niederlande wusste, was sie bereits ebenfalls wusste oder überhaupt nicht wissen wollte. Auch, dass Holland nur eine Region in den Niederlanden sei. Die Landwirtschaft war ihm aus unerfindlichen Gründen ans Herz gewachsen. Die Geschichten rund ums Königshaus musste ihm Hilde erzählt haben oder seine Friseurin.
Von den Niederlanden kam er auf das Buch zu sprechen, das er gerade las, das er nach ihrem Notruf vor zwei Tagen hatte liegen lassen müssen.
Münsters Fall
von Hakan Nesser. Vorwurfsvoll merkte er an, dass er jetzt immer noch nicht wisse, wer der Mörder dieses widerlichen Waldemar Leverkuhn sei. Sonja, die das Buch nicht kannte, tröstete Wesseling mit dem Hinweis, dass ihm, im Gegensatz zur Realität, dieser Mörder garantiert nicht weglaufen würde. Er bliebe zwischen den Seiten und warte dort auf ihn.
Wesseling stieß einen heftigen Nieser hervor.
Danach herrschte abwartendes Schweigen im langsam dahinschaukelnden Audi des Oberstaatsanwaltes.
Von der Stadt Rotterdam fühlte sich Sonja getäuscht. Kein aufgeräumtes Dorf mit schnuckeligen weißen Stufengiebeln, schmiedeeisernen Gittern, schmalen Backsteinhäuschen, Blumentöpfen und Kopfsteinpflaster und zirkulierenden oder an jeder Hauswand lehnenden Fahrrädern. Rotterdam war eine nüchterne Industriestadt mit mehrspurigen, stark befahrenen Straßen.
Wesselings Navigationsgerät dirigierte sie in die Hoghstraat Nr. 2, wo Johan van Kessel sie erwarten sollte. Seine beiden Freunde, Adrian Skyler und Willem Roosevelt, waren aufgefordert worden, in ihren Wohnungen parat zu stehen und auf Zuruf in van Kessels Wohnung zu eilen.
Johan van Kessel, groß und hager, stand mit seiner Frau, groß und rundlich, beide rotblond, in der grau gestrichenen Wohnungstüre, die Wesseling und Sonja über einen langen Laubengang erreichten, der mit Schuhen und Spielzeug und Fahrrädern der Nachbarn zugestellt war. Johan van Kessel stellte seine Frau Beatrix vor und bat den hohen Besuch herein.
Im Wohnzimmer lief eine Kochsendung im Fernseher, die Fenster trugen keine Gardinen, waren aber zugestellt mit rankenden Pflanzen. Ein graugrüner Sittich pfiff gegen die Fernsehgeräusche an. Es roch nach frischem Kaffee.
Johan stellte den Fernseher auf lautlos. Beatrix
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