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Spiel mir das Lied vom Wind

Spiel mir das Lied vom Wind

Titel: Spiel mir das Lied vom Wind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carola Clasen
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ihm 5.000 Euro ausbezahlt. Die restlichen 5.000 – das werden Sie verstehen – können wir natürlich unter den gegebenen Umständen nicht mehr ausbezahlen.«
    »Was hat Erwin mit dem Geld gemacht?
    »Es gibt keine Überweisungen, wenn Sie das meinen. Er hat es mitgenommen.«
    »Mitgenommen?«
    Herr Stiepelmann nickte gequält.
    »Wohin?«
    Er zuckte mit den Schultern.
    Helene schüttelte den Kopf und rechnete im Kopf. Erwin hatte insgesamt 5.000 Euro bar in seiner Tasche spazieren getragen. Wo war das Geld?
    »Wie ich schon sagte«, erklärte Herr Stiepelmann. »Sie erben Schulden, sonst nichts.«
    »Schulden«, wiederholte sie, »sonst nichts.«
    Den Heimweg erledigte Helene Dederich mit dem Bus bis zur Einruhrer Straße und von dort aus zu Fuß. Sie schüttelte dabei fortwährend den Kopf. Was hatte Erwin nur mit dem ganzen Geld gemacht? Er war sparsam und anspruchslos gewesen. Er hatte nicht übermäßig getrunken, nicht gespielt, nicht geraucht. Er fuhr einen alten Mercedes und einen noch älteren Traktor. Er legte keinen Wert auf Kleidung, keinen Wert auf Möbel. Was er sich gegönnt hatte, war eine Reise pro Jahr mit seiner Frau gewesen. Und nun das. Helene dachte, sie hätte Erwin gekannt. War er überfallen und ausgeraubt worden? Gab es eine andere Frau in seinem Leben?
    Zu Hause durchsuchte Helene Erwins Nachttisch und den Sekretär im Wohnzimmer. Kein Geld, keine Notizen. In seiner blauen Latzhose, die er noch am Deckenhaken getragen hatte, fand sie neben Schrauben, Krümeln und Kronkorken einen kleinen, verknitterten Zettel.
    Dr. Kistermann stand mit Bleistift und in Erwins ungelenker Handschrift darauf. Darunter hatte er eine Telefonnummer gemalt. Eine Handynummer, wie Helene an der seltsamen Vorwahl zu erkennen glaubte.
    Ein Arzt? Hatte Erwin Kontakt mit einem Zahnarzt aufgenommen? Hatte er vielleicht ihre Zähne angezahlt? Rührung überkam Helene. Der Gute. Sie hatte ihm Unrecht getan. Wie hatte sie nur glauben können, dass er eine andere Frau hatte? Ihr Erwin doch nicht. Er hatte nur an sie und ihre Zähne gedacht.
    Helene schöpfte neue Hoffnung, vielleicht bei allem Unglück zum Trost wenigstens neue Zähne zu bekommen. An die Kosten für die Beerdigung dachte sie in diesem Augenblick auch. Aber wenn sie wählen müsste, würde sie sich für die Zähne entscheiden. Gab es nicht Armengräber?
    Helene wählte die Nummer, die auf dem Zettel stand, aber eine weibliche, unnatürlich klingende Stimme sagte ihr, dass diese Nummer stillgelegt worden sei. Sie rief die Auskunft an und bat um die Telefonnummer von Herrn Dr. Kistermann. Es gab eine ganze Menge davon in ganz Deutschland, aber keiner von ihnen war Zahnarzt.
    Der nächste Anruf, den Helene tätigte, galt ihrem Schwager Ulrich. Ulrich und Erwin hatten sich immer besonders nah gestanden. Matthias hatte ihn schon benachrichtigt. Ulrich war bestürzt und tief betroffen. Deswegen stieß er vielleicht auch diese seltsamen Sätze hervor, aus denen Helene nicht schlau wurde.
    »Aber ich habe es doch auch für ihn getan! Ich wollte ihn überraschen! Und dich auch! Ach, hätte ich es ihm doch nur gesagt! Dann würde er jetzt noch leben!«
    Als Helene um Aufklärung bat, versagte Ulrich die Stimme. Aber dass er in Erwins Geheimnis eingeweiht war, war ihr nun klar. Sie solle ihm ein wenig Zeit geben, den Schock zu verkraften, dann würde er es ihr erklären, versprach er.
    »Nach der Beerdigung?«, bat Helene.
    »Nach der Beerdigung.«

14. Kapitel
    Zur gleichen Zeit, als Oberstaatsanwalt Bernd Wesseling und Hauptkommissarin Sonja Senger die deutschniederländische Grenze bei Venlo passierten, wurden im Kriminalkommissariat Euskirchen Ruben Graf und Sebastian Böhm von den Hautkommissaren Neugebauer und Brummer in Empfang genommen. Ruben sollte auf einem Stuhl im Flur warten, während Sebastian als Erster im Büro der beiden Kommissare befragt wurde.
    Sebastian Böhm war ein blonder, sommersprossiger, sehniger, junger Mann, Typ Langstreckenläufer. Nach der Aufnahme seiner Personalien bat Brummer ihn um eine Beschreibung der Abläufe in der Nacht zum 1. Mai. Mit treuherzigem Blick tischte er den beiden Kommissaren eine unglaubliche Geschichte auf.
    Peter Reiners habe ihn und Ruben am 30. April gegen 19.30 Uhr zu Hause abgeholt und sei mit ihnen über Gemünd nach Anstois gefahren, um dort eine Birke abzuholen, die er vor ein paar Tagen illegal gefällt und sicher versteckt habe und vor Jessicas Haus habe aufstellen wollen.
    Noch in Anstois hätten sie den

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