Spiel mir das Lied vom Wind
Sie?«
»Kein Wort«, antwortete Wesseling.
Johan drehte sich um und blickte fragend zu Sonja.
»Ich auch nicht«, sagte sie. »Sie müssen ein bisschen deutlicher werden.«
Beatrix nickte angespannt.
»Ich bin Techniker, deswegen habe ich es auf dem Gebiet versucht, in dem ich mich auskenne. Autos, Schiffe, Photovoltaik, Windenergie.«
Beatrix bestätigte seine Aussage mit weiterem Nicken.
»Überall in der Welt?«, fragte Sonja.
»Nein. Nein«, widersprach er und drehte sich wieder um. »Nur in Deutschland. Die Ergebnisse waren erschütternd und erfreulich zugleich. Die deutschen Produktionen waren durchweg mehr als fragwürdig. Die Autoindustrie, die durchaus in der Lage wäre, gute und preiswerte Drei-Liter-Autos zu bauen, ist beherrscht von einer mächtigen Lobby. Der deutsche Schiffs-und Werftbau hinkt dem Stand der niederländischen Technik um Seemeilen hinterher. Die erneuerbaren Energien, der saubere Strom, werden von den deutschen Politikern und Stromkonzernen stiefmütterlich behandelt. Meine beiden Freunde, Adrian Skyler und Willem Roosevelt, haben mich dabei unterstützt. Der eine ist Journalist, der andere Fotograf. Wir haben Artikel veröffentlicht und gehofft, dass sie wie kleine Erdbeben sind, die die deutsche Nation erschüttern.«
»Ich verstehe, der große Nachbar Deutschland …«
Johann nickte. »Diesen Sommer habe ich mich nur mit Windrädern befasst. Während Beatrix im Wohnwagen saß, habe ich Fotos geschossen, Windräder bestiegen und Betreiber und Hersteller interviewt. Ich habe mit Anwohnern gesprochen und Investoren und …«
»Und dabei sind Sie auf die Leiche gestoßen?«
»Nein. Nein. Die habe ich erst zu Hause auf den Fotos entdeckt. Zwei Tage später. Zusammen mit meinen Freunden.«
»Am 19. August?«, fragte Wesseling.
»Ja, letzten Mittwoch. Am Sonntag davor sind wir erst aus dem Urlaub zurückgekommen. Montag und Dienstag habe ich die Fotos sortiert.«
»Daraufhin sind Sie noch einmal nach Deutschland gefahren?«
Johan nickte. »Ja, direkt am Tag danach.«
»Und haben die Leiche in Ihr Auto geladen«, sagte Wesseling.
»Nein, in meinen Wohnwagen.«
»Was wollten Sie damit anfangen?«
Johan zuckte mit den Schultern. »Ich wollte sie …. aber dann kam sie.« Er drehte sich wieder herum und blickte Sonja an. Die Wangen in seinem hageren Gesicht waren eingefallen, die Augen lagen dunkel und tief in ihren Höhlen.
»Ja, ja«, unterbrach Sonja ihn schnell. »Den Rest kennen wir.«
»Was hätten Sie gemacht, wenn Sie der Kommissarin nicht begegnet wären?«, fragte Wesseling.
»Ich hätte die Leiche mit nach Hause genommen«, fuhr Johan fort.
Beatrix stieß einen kurzen Schrei aus.
»Sie auch?« Wesselings Augen wanderten zu Sonja. Spott und Hohn lagen darin. Sie feixte zurück, rümpfte die Nase und wandte sich ab. »Krux ist auch als Leiche ausgesprochen begehrt, das muss ich schon sagen.«
»Nein, nein«, beteuerte Johan. »Ich wollte sie … ach, hören Sie auf, ich hatte … ich …«
»Wissen Sie eigentlich, wer der Tote ist?«
»Nein, natürlich nicht!« Johan schüttelte den Kopf und raufte sich die Haare. »Das ist mir auch egal. Darum geht es nicht.«
»Ich verstehe hier überhaupt kein einziges Wort«, sagte Wesseling und bediente sich an den Keksen, biss eine Ecke ab und begann in Gedanken geräuschvoll zu kauen. Als er sah, dass Sonja ihn dabei beobachtete, bot er ihr die Schale an und reichte sie schließlich auch Beatrix, der Gastgeberin.
Die lehnte ab und begann zu sprechen. »Ich sage Ihnen was.« Beatrix hatte bislang mit wachsendem Entsetzen vom einen zum anderen gesehen und versucht, etwas vom Gespräch mitzubekommen. Tränen standen ihr in den Augen.
»Was denn?«, fragte Wesseling ungehalten.
»Jetzt habe ich es verstanden. Der Tote war ein Geschenk für seine Mutter. Seine Mutter hasst nämlich die Moffen.« Beatrix schlug sich eine Hand vor den Mund, sprang auf und rannte hinaus. Die Tür schlug hinter ihr zu. Nicht nur die Zimmertür, auch die Wohnungstür.
Sonja verschluckte sich an ihrem Keks. Wesseling fiel die Kinnlade herunter, sodass sie klebrige Krümel zwischen seinen Zähnen sehen konnte. Sonja wandte sich angewidert ab. »Moffen! Danke für das Kompliment«, sagte Wesseling zur geschlossenen Zimmertür.
»Sie denkt nicht so«, entschuldigte Johan seine Frau.
»Aber Sie!«, fuhr Wesseling ihn an.
»Ich kann nichts dafür, bin so erzogen worden. Meine Mutter hat ihre Eltern im Zweiten Weltkrieg verloren, sie wurden
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