Spiel mir das Lied vom Wind
deportiert, da war sie erst vierzehn Jahre alt und wurde im Haushalt einer Tante groß, die ebenfalls ganz schlechte Erfahrungen mit Deutschen gemacht hatte. Dieser Hass färbte ab, diesen Hass gab sie an mich weiter. Er war und blieb die Grundeinstellung in meinem Elternhaus, die bei jeder Kleinigkeit ans Tageslicht kommen konnte, auch wenn es sich nur um einen Toaster deutschen Fabrikats handelte, der auf unerklärliche Weise vorzeitig seinen Geist aufgab. Meine Mutter wollte …« Johan zögerte, »sie wollte, dass ich ihr einen toten Deutschen bringe.«
»Oh!«, machte Sonja. Seine Mutter war nicht zimperlich.
»Je nun«, entfuhr es Wesseling.
»Aber ich bin kein Krimineller, wissen Sie. Ich kann niemanden umbringen, auch nicht für meine Mutter. Ich habe versucht, sie mit den Artikeln über schlechte deutsche Produkte zu … wie sagt man?«
»Besänftigen?«, schlug Sonja vor.
Er nickte. »Aber es reichte ihr nicht. Es war ihr nicht genug. Das hätte ich mir denken können.«
»Lebt sie noch?«, fragte Sonja.
»Ja, natürlich. Ihr Herz ist stark.«
Wesseling schüttelte den Kopf. »Sie kann einen Besuch bei uns in der Rechtsmedizin machen, da kann sie tote Deutsche sehen, so viele sie will.«
Sonja schüttelte entgeistert den Kopf. Wesseling war heute wirklich seltsam.
»Sie ist über achtzig. Sie ist bettlägerig«, erklärte Johan und seufzte.
Wenn Wesseling jetzt eine Rollstuhl-Tour vorschlug, so nahm Sonja sich vor, würde sie ihn beiseite nehmen, und ihm ins Gewissen reden.
»Haben Sie nie an ein Foto gedacht?«, fragte sie Johan.
»Ein Foto?«, wiederholte er irritiert.
»Ganz einfach. Sagen Sie ihr, dass das Pflegeheim es nicht gestattet, Leichen mitzubringen. Und das ist nicht einmal gelogen. Sie bekommen von uns ein wunderbares Foto.«
Ein kleines, verschmitztes Lächeln tauchte in Johans Augen auf. »Ist das Ihr Ernst?«
»Wir haben im Kommissariat ein erstaunliches Archiv, Sie werden sich wundern. Sie können die Mordmethode wählen.«
Wesseling guckte beleidigt, vermutlich weil er nicht selbst auf die Idee gekommen war, und murmelte: »Typisch.« Laut sagte er: »Dem Manne kann geholfen werden. Das ist von Schiller.
Die Räuber
. Aber den werden Sie als Moffenhasser ja nicht kennen. Wir gehen. Los.« Die letzten beiden Worte galten Sonja und wurden von einem ausladenden Armwinken begleitet.
»Was ist mit Adrian und Willem?«, fragte sie und blieb auf ihrem Stuhl sitzen.
»Ach ja.« Wesseling erinnerte sich. Er verzog das Gesicht. »Sie sollen herkommen, aber flott!«
Johan hängte sich ans Telefon. Sonja wunderte sich, dass er sich nicht um den Verbleib seiner Frau kümmerte.
Nach einer Viertelstunde tauchten Johans Freunde auf und bestätigten radebrechend halb deutsch, halb englisch sprechend Johans Aussagen. Mutters Herzenswunsch war ihnen allerdings auch nicht bekannt gewesen. Sie beteuerten, dass sie Johan nicht unterstützt hätten, wenn sie das gewusst hätten. Obwohl Johan keine Anzeige erstatten wollte, habe sich Adrian Skyler darüber hinweggesetzt. Willem Roosevelt hätte ebenfalls sofort Anzeige erstattet, wenn ihm eine doppelte Mail nicht unsinnig vorgekommen wäre. Sie hatten sich abgesprochen, dass Skyler den deutschen Behörden eine Mail schickte. Beide hatten für die fragliche Zeit Alibis, die allerdings nur von ihren Ehefrauen bestätigt werden könnten.
»Die alte Frau van Kessel würde ich gern mal kennen lernen«, meinte Wesseling, als sie wieder im Auto saßen, und er seinen Navigator programmierte.
»Ich nicht«, widersprach Sonja. »Wir hätten alle seine Fotos beschlagnahmen müssen und die drei Männer gleich mit.«
»Nein. Nein. Mein Gefühl sagt mir etwas anderes. Und mein Gefühl hat mich noch nicht getäuscht.«
»Und wie ist das oberstaatsanwaltliche Gefühl?«
»Die Geschichte ist viel zu absurd und haarsträubend, um erfunden worden zu sein.«
»Verstehe.« Vermutlich hatte er recht, dachte Sonja, und die Holländer fielen als Täter allesamt aus. Eigentlich blieben nur noch Melinda, Hansen und Steinbrecher übrig, jedenfalls solange ihre Alibis noch nicht überprüft waren.
»Ruf doch mal bei Neugebauer und Brummer an«, verlangte Wesseling unvermittelt. »Bestimmt haben Ruben Graf und Sebastian Böhm in der Zwischenzeit ihre Aussagen gemacht.«
Während er sie durch Rotterdam kutschierte, ließ sie Brummer berichten und wiederholte hinterher alles brav und wortgetreu für ihren Fahrer.
»Schwarze Männer! Pah!«, rief er. An die zwei
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