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Spiel mir das Lied vom Wind

Spiel mir das Lied vom Wind

Titel: Spiel mir das Lied vom Wind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carola Clasen
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war sehr freundlich, aber ihre Deutschkenntnisse waren mager. Sie versuchte sich mit Lächeln verständlich zu machen. Nachdem sie den Besuch mit Kaffee und Keksen versorgt hatte, ließ sie nur noch ihre kleinen, grauen Augen aufmerksam von einem zum anderen schweifen. Ab und zu legte sie eine Hand auf Johans Arm in der grauen Strickjacke, als ob sie ihn beruhigen wollte. Aber Johan war ganz ruhig.
    Wesseling schickte voraus, dass er nicht viel Zeit mitgebracht habe, weil er anschließend noch die Herren Adrian Skyler und Willem Roosevelt befragen und wieder nach Deutschland zurückkehren müsse. Es wäre hilfreich, wenn niemand lange um den heißen Brei reden würde. Den Ausdruck »heißer Brei« verstanden weder Johan noch Beatrix. Nach ein paar Erklärungsversuchen gab Wesseling auf, putzte seine Nase und zückte seine rote Kladde.
    »Herr van Kessel«, begann er, »zuerst zum Alibi. Wo waren Sie zwischen dem 13. und 17. August?«
    »In Deutschland«, erwiderte van Kessel.
    »Gut. Und wo da?«
    »In der Eifel.«
    »Gut. Und wo da?«
    »Wir haben auf einem Campingplatz am Freilinger See übernachtet. Das kann ich beweisen. Ich habe eine Rechnung. Ich kann sie holen.«
    »Später. Und was haben Sie da gemacht?«
    »Urlaub.«
    »Und Fotos, nicht wahr?«
    »Ja. Aber nur von Windrädern.«
    »Warum auch immer«, sagte Wesseling. »Eines davon war jedenfalls zufällig vom Windpark Himberg.«
    Johan nickte und machte einen zuversichtlichen Eindruck. Wesseling hatte ihn aufgebaut, aber nichts Besseres zu tun, als ihm sein gutes Gefühl mit einem Satz wieder zu nehmen.
    »Nun kommen wir zum Motiv. Warum haben Sie Herrmann Krux ermordet?«
    »Ermordet?«, fragten Beatrix und Johan wie aus einem Munde und sackten gegen die Rückenlehnen ihres rustikalen, grauen Sofas, als hätten sie einen Schlag ins Gesicht abbekommen. Ihre gesunde Gesichtsfarbe war plötzlich grau.
    Sonja war entsetzt über Wesselings mangelndes Feingefühl.
    »Wenn Sie nicht sein Mörder waren, warum sind Sie am 20. August noch einmal nach Deutschland zum Windpark Himberg gefahren, um ihn abzutransportieren?«, hakte er nach.
    Johan machte keine Anstalten zu antworten. Er reagierte nicht. Auf Niederländisch sprach Beatrix auf ihn ein. Sie schien von seiner zweiten Reise nichts zu wissen.
    »Also?«, fragte Wesseling.
    Schweigen.
    Wesseling wandte sich an Beatrix. »Vielleicht wollen Sie es uns sagen?«
    Beatrix schüttelte ihre rotblonden Locken so heftig, dass ihre runden Wangen flatterten.
    »Dann müssen wir Sie beide bitten, mit uns zu kommen.«
    »Nach Deutschland?« Wieder eine Frage im Chor. Johan und Beatrix saßen plötzlich kerzengerade da. Schulter an Schulter, ihre Mienen versteinerten sich.
    Nur wenig Sonnenlicht fiel durch die rankenden Grünpflanzen ins Zimmer und tauchte Wände und Böden und die beiden entsetzten Holländer auf ihrem Sofa in trübe Grautöne. Eine Szene wie in
Ödipussi
, dachte Sonja, als Loriot, alias Paul Winkelmann, einem älteren Ehepaar neue Farben für sein Heim anpreist.
Steingrau, mausgrau, staubgrau, aschegrau
… Einziger Farbklecks neben den bunten Fernsehbildern war ein rosa Strickknäuel, das neben Beatrix lag.
    Beatrix flüsterte Johan etwas ins Ohr. Er schüttelte den Kopf. Sie sprach weiter auf ihn ein. Wesseling und Sonja blickten sich fragend an. Vielleicht hätte er anders beginnen sollen, dachte Sonja.
    »Gut«, sagte Johan schließlich, stand auf, stellte sich ans Fenster und steckte die Hände in die Hosentaschen. Mit einem runden Rücken zum Besuch begann er leise und stockend sein Geheimnis zu lüften, von dem, wie er vorausschickte, nicht einmal Beatrix etwas wusste. »Es geht um ein Ehrenwort.«
    »Je nun«, murmelte Wesseling. »Das gab‘s mal bei uns in Deutschland. Der Mann hat sich schließlich umgebracht. Ein Politiker. Barschel hieß er, wenn ich nicht irre.«
    Sonja stieß ihm die Seite, Beatrix hatte es nicht verstanden und Johan nicht gehört.
    »Es geht um ein Ehrenwort«, wiederholte Johan mit trüber Stimme, »das ich meiner Mutter gegeben habe. Das war vor fast acht Jahren. Ich habe ihr etwas versprochen.«
    »Was denn?«, fragte Wesseling ungeduldig.
    »Eine Art …« Johan schien nach dem passenden Wort zu suchen. »Eine Wiedergutmachung. Die letzten Jahre waren schreckliche Jahre für mich. Ich wusste nicht, wie ich es anpacken sollte. Alle meine Bemühungen konnten nicht das ausrichten, was Mutter sich wünscht. Es waren nur winzige Nadelstiche in einem dicken Pelz, verstehen

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