Spiel mir das Lied vom Wind
neben Wesselings Sonnenblume und drehte die Blüte, die sich in Richtung Fenster gewendet hatte, zu sich herum. Das satte Gelb und dunkle Grün machten sich gut auf dem Esstisch aus warmem Walnussholz. Ländlich friedlich. Täuschend.
Wieso war sie nicht viel früher darauf gekommen? Wieso hatte sie dem Windrad auf dem Himberg, das als Galgen für Krux herhalten musste, keine Beachtung geschenkt? Und sonst auch niemand? Auch Wesseling nicht in seiner oberstaatsanwaltlichen Selbstherrlichkeit und ohne dicke Befangenheit. Dabei war ein Windrad als Galgen durchaus nicht üblich. Vermutlich war Herrmann Krux der erste Mensch auf Erden, der an einem Windrad gekreuzigt wurde.
Konnte der
auffallend starke Benzingeruch
im Auto ein Zeichen für Selbstmord sein? Hatte Krux Auspuffgase ins Innere seines Busses geleitet? Hatte er sich getötet, weil er nicht mehr ein noch aus wusste? Das sah ihm nicht ähnlich. Er war ein Mensch, der immer einen Ausweg aus einem Dilemma fand.
Die Wahrheit musste in den Tiefen und Untiefen seines Laptops stecken, und der Dienstweg dorthin führte über Wesseling. Aber danach stand Sonja nicht der Sinn. Auch nicht nach einer Autofahrt mit Brummer. Es wurde höchste Zeit, sich wieder selbstständig zu machen, sich auf sich selbst zu verlassen und allein aufzubrechen. Wenn die Herren dachten, sie könnten ihre mangelhafte Mobilität ausnutzen, hatten sie sich geirrt.
Sie war mobiler denn je.
Das Wetter für einen Ausflug war ideal. Ein leichter Wind war aufgekommen und hatte die Schwüle der letzten Tage davongejagt. Es war kühler und frischer geworden.
Sonja Senger fuhr mit dem Fahrrad nach Gemünd, mit dem Bus nach Kall, mit dem Eifelexpress bis Hürth-Kalscheuren, mit der Regionalbahn nach Bonn und mit der Buslinie 606 direkt bis vors Polizeipräsidium Bonn-Ramersdorf. Eine Weltreise. Die reine Zeitverschwendung. So konnte niemand effektiv arbeiten.
Bei der Betrachtung des ochsenblutroten Kastengebäudes gegenüber dem Zollamt nahm Sonja sich vor, Roggenmeier neuen Druck wegen des Dienstwagens zu machen.
Während ihr Blick erfolglos den eingezäunten Parkplatz für Bedienstete nach einem weißen Bus absuchte, beschloss sie, für die Beschaffung des Dienstwagens notfalls auch Wesseling einzusetzen, den sie allerdings gerade hinterging. Er würde es missbilligen, wenn er wüsste, wie sie sich eigenmächtig bis zur Abteilung KK 23, Computerkriminalität, durchfragte. Aber das würde später kommen, was jetzt war, war wichtig und unaufschiebbar, Sonja hielt es vor Neugier kaum noch aus.
Roland Kohl, einer der Computerspezialisten im Polizeipräsidium, verriet ihr, dass er seinen Bericht über das Innenleben des bewussten Laptops soeben an die Staatsanwaltschaft Bonn gefaxt habe.
»O, nein!«, fluchte Sonja. Demnach hätte sie nur zu Hause geduldig abwarten müssen, bis Wesseling ihn ihr per Mail geschickt hätte. Manchmal fiel sie über ihre eigenen Füße.
Sie erzählte Kohl von ihrer beschwerlichen Reise und bot all ihren Charme auf. Zögernd ließ er sich darauf ein und schlug vor, ihr eine Kopie des Berichts zu überlassen, die sie in aller Ruhe im Casino des Polizeipräsidiums bei einer Tasse Kaffee studieren könne.
Sonja verging das Strahlen über den Teilerfolg, als Kohl erwähnte, dass er sich dazu vorher nur kurz das Einverständnis von Herrn Oberstaatsanwalt Wesseling einholen müsse, der über diesen Fall mit Argusaugen wache.
Sonja wollte abwinken und dankend verzichten, aber Kohl hatte den Hörer schon in der Hand. Wesselings Stimme am anderen Ende der Leitung war nicht zu überhören. Er schien in Euskirchen zu sein und wollte offenbar, dass Sonja dort ebenfalls auf der Stelle zwecks Abkanzelung auflaufe. Kohl gab Sonjas beschwerliche Reise zu Bedenken. Danach sagte er ein paar Mal betreten »Ja« und »Nein« und legte auf.
»Was befiehlt er?« Sonja musterte den irritierten Computerspezialisten, der sich wohl besser mit Bits und Bytes als mit den Irrungen und Wirrungen eines Oberstaatsanwalts und einer Hauptkommissarin auskannte.
»Der Herr Oberstaatsanwalt«, räusperte sich Kohl verlegen, »will, dass Sie ihm sofort mit dem beschlagnahmten Bus das beschlagnahmte Laptop nach Euskirchen bringen.«
»He?«, Sonja fiel auf einen Stuhl. Alle Achtung! Welch elegante Lösung. Die Idee hätte von ihr sein können. Seit wann war Wesseling praktisch veranlagt?
Kohl zuckte ratlos mit den Schultern, öffnete einen Aktenschrank unter dem Fenster, holte einen Pappkarton hervor
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