Spiel mit dem Feuer - Viehl, L: Spiel mit dem Feuer
Er machte eine Kopfbewegung auf das Mathebuch. »Die Antwort ist übrigens zweiundvierzig.«
»Hä?«
»Die Aufgabe, bei der du festhängst.« Er hatte sie kopfüber gelesen. »Wenn John erst einen Kontostand von hundertsiebenundneunzig Dollar hat, und zweihundertneununddreißig, nachdem er seinen Gehaltsscheck eingezahlt hat, verdient er zweiundvierzig Dollar die Woche.« Mehr als Douglas Simon.
Ihr fiel die Kinnlade herunter. »Wie haben Sie das gemacht?«
»Hundertsiebenundneunzig von zweihundertneununddreißig abziehen.«
»Nein, ich meine, Sie haben doch bloß so draufgeguckt.«
»Ich konnte schon immer gut mit Zahlen umgehen.« Seine eigene Frau und Tochter hatten ihn bestimmt auch einmal mit einer solchen Bewunderung angesehen. Nicht dass er wusste, wo sie jetzt waren, oder sich auch nur an ihre Gesichter erinnerte. Er holte oft das Foto heraus, das er in seiner ansonsten fast leeren Brieftasche bei sich trug, und studierte es. »Danke für das Zimmer.« Er nahm seine Almosentüte und ging auf die Tür zu.
»Hey, Mister.« Als er sich umdrehte, lächelte sie. »Ich heiße Caitlin.«
Es war eine kleine Freundlichkeit, die erste, die ihm seit langer Zeit entgegengebracht wurde. »Danke, Caitlin.«
Zimmer acht war eine trostlose Zelle mit einem Badezimmer von der Größe eines Kleiderschranks, einem Fernseher mit Hasenohren-Antenne, der genau drei Sender klar empfing, und einem überraschend bequemen Einzelbett. Douglas legte die beiden Kleidergarnituren weg, die er im Secondhandladen gekauft hatte, und hängte sein Jackett auf, bevor er seine Krawatte löste und sich auf die Bettkante setzte. Die billige Tagesdecke war voller kleiner Flusen, und ausgebleichte Flecken überzogen das gewagte Paisleymuster.
Er hatte Caitlin nicht angelogen, als er ihr sagte, er könne gut mit Zahlen umgehen. Das hatte Douglas schon immer gekonnt, seit er in ihrem Alter gewesen war. Er konnte auf eine Zahlenreihe schauen und sie auf eine Art begreifen, wie andere Kinder es nicht konnten. Er hatte gelernt, Gleichungen schneller im Kopf zu lösen, als die meisten Menschen lesen konnten. Zahlen waren wirklich die einzige Konstante auf der Welt. Sie waren logisch, unerschütterlich und zuverlässig. Ganz anders als seine frühere Ehefrau.
Er nahm den Telefonhörer ab, rief die Auskunft an und wählte dann die Nummer seiner Bewährungshelferin. Der Sprachcomputer leitete ihn weiter in die Warteschleife, während der sich Michael Bolten fragte, wie er bloß weiterleben sollte. Douglas wusste es auch nicht, aber es machte ihm nichts aus zuzuhören. Er hatte die ganze nächste Woche nichts zu tun und nichts, wo er hinmusste. Er nahm an, dass er sich dieses Hotel ausgesucht hatte, weil es in der Nähe von St. Williams war, wo er seine kostenlose und einzige Mahlzeit an diesem Tag bekommen hatte.
Das heutige Abendbrot würde wässrige Jambalaya mit bissfestem Reis sein. Die Männer, bei denen er saß, würden dreckig und paranoid sein und nach billigem Scotch oder Rotwein riechen. Ein müder Prediger würde irgendwas aus dem Buch Hiob vorlesen.
Hiob hatte, genau wie Douglas, ein paar finanziell unkluge Entscheidungen getroffen.
Michaels aufgedrehte Stimme wurde mitten im Ton abgeschnitten, und eine schrillere weibliche Stimme meldete sich. »Marcia Dayton.«
Er blickte auf seine Schuhe. Sie stammten ebenfalls aus dem Secondhandladen und mussten dringend mal geputzt werden, aber sie waren so alt, dass sie möglicherweise auseinanderfielen, wenn er zu fest polierte. »Miss Dayton, hier ist Douglas Simon, Vorgangsnummer drei-null-neun-sieben-acht-drei-fünf-sechs«, wiederholte er aus dem Gedächtnis. »Ich weiß nicht mehr, ob ich Sie schon angerufen habe, um Ihnen mitzuteilen, wo ich mich momentan aufhalte.«
Er stellte sie sich an einem unordentlichen, überladenen Schreibtisch vor. Marcia Dayton hörte sich an, als wäre sie spindeldürr, und als würde sie eine riesige Brille und einen selbst gehäkelten rosa Schal über ihren mageren Schultern tragen. Wahrscheinlich hatte sie die unberingten Finger und den bilderfreien Schreibtisch einer alten Jungfer aus Überzeugung.
»Simon. Simon. Wie war noch mal die Vorgangsnummer?« Ein Papierrascheln war zu hören, als er sie wiederholte. »Okay, hier hab ich Sie. Nein, Sie haben nicht angerufen, und Sie hätten sich schon vor zwei Tagen bei mir melden sollen. Wo sind Sie, Doug?«
Niemand hatte ihn je Doug genannt, außer Stephen Belafini, und an den wollte er jetzt nicht denken.
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