Spiel mit mir!: Roman (German Edition)
zahlreichen Erinnerungen, die sich binnen kürzester Zeit in ihrem Kopf angesammelt hatten.
Sie musste gehen, um loslassen zu können.
Sie war allein die Hauptstraße entlanggeschlendert, und der Schmerz über den Verlust hatte sie überwältigt, ihr den Atem geraubt. Sie hatte sich noch keinen genauen Plan zurechtgelegt, aber sie hatte schon ein paar Ideen. Was ihre Karriere betraf, würde sie auf jeden Fall wieder für das Crown Chandler arbeiten, sofern man sie dort noch haben wollte, am liebsten in Vegas, in der Nähe ihres Vaters. Die Miete für ihre bisherige Wohnung oder womöglich sogar eine Hypothek würde sie sich nicht leisten können. Sie würde sich irgendwo ein Zimmerchen suchen und sich etwas einschränken. Keine Luxusgüter mehr. Sie musste einen Weg finden, um ihrem Vater den Lebensabend möglichst angenehm gestalten und dennoch ein eigenes Leben führen zu können.
Ohne Mike.
Sie schüttelte den Kopf, atmete tief durch und schlug den Weg zum Busbahnhof ein. Da sie ihren Aufenthaltsort nicht länger verheimlichen musste, konnte sie für die Heimreise ihre Kreditkarte benutzen. Allerdings kam Fliegen nicht infrage. Sie musste vernünftig mit ihrem Geld umgehen und möglichst viel zusammensparen, damit ihr Vater in seinem derzeitigen Pflegeheim bleiben konnte. Aber sie brauchte auch nicht in Panik zu verfallen.
Sie hatte noch etwas Spielraum, denn ihre Ersparnisse reichten aus, um die Heimkosten noch ein paar Monate zu decken. In dieser Zeit konnte sie einen Aktionsplan ausarbeiten. Diese Ersparnisse waren das Ruhekissen, das sie vor einem halben Jahr noch nicht gehabt hatte, als Sam die Diagnose erhalten hatte. Nur deshalb hatte sie damals beschlossen, Marshall zu kontaktieren. Und damit hatte das Verhängnis seinen Lauf genommen.
Doch sie bereute es nicht, dass sie Mike kennengelernt und geheiratet hatte. Die vergangene Woche war die schönste ihres Lebens gewesen. Sie wusste jetzt, dass sie die ganze Palette haben wollte. Mit weniger würde sie sich niemals zufriedengeben. Sie hatte erlebt, was es bedeutete, einen Mann so gern zu haben, dass sie seine Familie als ihre eigene betrachtete. Und sie hatte erkannt, welchen Einfluss die Vergangenheit auf die Zukunft haben konnte. Von nun an würde sie ihre Entscheidungen sorgfältiger treffen.
Sie marschierte in den Busbahnhof und erstand ein Ticket für den Greyhound nach Boston. Von dort aus würde sie drei volle Tage brauchen, um nach Vegas zu kommen. Mit drei Mal umsteigen.
Ihr Bus fuhr erst in über einer Stunde los, daher ging sie wieder nach draußen. Auf dem Bürgersteig vor dem Busbahnhof standen ein paar Leute herum, aber im Großen und Ganzen war hier nicht allzu viel los.
Eine Autohupe ließ sie zusammenzucken.
Sie fuhr herum, und ihr Herzschlag setzte einen Takt aus, als sie einen törichten Moment lang hoffte, Mike wäre gekommen. Stattdessen erblickte sie in dem burgunderroten Mietwagen, der gerade neben ihr zum Stehen kam, ihren Ex-Partner Marshall.
Wo kam der denn auf einmal her?
Jetzt, nachdem sie ihre Probleme mit King Bobby geklärt hatte und ihn nicht mehr länger brauchte.
»Was willst du hier?«, fragte sie misstrauisch.
»Was ist denn das für eine Begrüßung, Kleines? Steig ein, damit wir reden können.«
Sie schüttelte den Kopf. »Ich warte auf einen Bus.«
»Kein Problem, dann steige ich eben aus.« Er ließ das Auto im Halteverbot vor dem Busbahnhof stehen. Für Marshall gab es eben keine Regeln.
Amber ging zurück in Richtung Eingang und hoffte, ihn nach drinnen locken zu können, wo etwas mehr los war.
Doch Marshall hatte sie bereits eingeholt. Er hakte sich bei ihr unter und dirigierte sie geradewegs an den Türen vorbei auf die andere Seite des Busbahnhofs. »Du warst ja schwer beschäftigt in letzter Zeit … Erst heiratest du, dann läufst du vor mir weg, um dich in diesem Kaff zu verkriechen. Was ist nur los mit dir?«
Amber blieb wie angewurzelt stehen. »Da fragst du noch?« Sie musterte ihn von oben bis unten. Er war ziemlich overdressed für die sommerlichen Temperaturen – Jeans, kurzärmliger Rollkragenpullover, Lederjacke. Ganz der schmierige Beau, wie immer. »Du weißt genau, was mit mir los ist. Du hast mich einfach hängen lassen, als dieser Koloss aus Texas wegen der Kohle hinter mir her war, die du ihm gestohlen hast«, rief sie schrill.
Er schüttelte den Kopf und lachte. »Komm schon, das ist doch Schnee
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