Spiel ohne Regeln (German Edition)
Mathes.
»Aber sie haben uns sämtliche Ergebnisse der Blut- und Gewebetypisierung geschickt.« Die Stimme der Frau bebte, sie schien den Tränen nahe. »Du hast sie doch gesehen! Das Mädchen weist die perfekte Übereinstimmung … «
»Und du traust deren Ärzten? Deren Unterlagen? Deren Labors? Bei den Honoraren, die wir berechnen, kann ich mir nicht den Hauch eines Zweifels hinsichtlich der Details erlauben. Wir testen selbst, wir vergewissern uns doppelt und dreifach. Ist das klar?«
Becca konnte nicht atmen. Ihr Mund zitterte. Sie traute sich nicht, ihre Lungen zu lockern und Luft zu holen, aus Angst, sie könnte ein lautes Schluchzen von sich geben. Das durfte sie nicht riskieren. Das Atmen konnte warten.
Mit dem Rücken an der Tür ließ sie sich ganz langsam nach unten gleiten und versuchte dabei, kein Rascheln, kein Quietschen zu erzeugen. Dann endlich war sie unten, hinter dem Wasserspender, wo sie sich zu einem Ball zusammenrollte und so klein wie möglich machte.
Die Frau schluckte hörbar ihre Tränen runter. »Aber, Richie, ich kann nicht … «
»Was soll das heißen, du kannst nicht? Edeline Metgers steht in zwei Tagen auf dem Terminplan!« Die Erbitterung in seiner Stimme schlug wie Fausthiebe auf Beccas dünnes Nervenkostüm ein. »Zusammen mit vier weiteren Empfängern. Du hast die Arrangements selbst getroffen!«
»Du verstehst nicht«, wisperte die Frau mit brechender Stimme. »Du musst mit mir kommen, um es zu tun, Richie. Es ist zu schwierig für mich allein. Du bist derjenige, der mir Kraft gibt. Ich kann nicht … «
»Schwachsinn! Wir stecken viel zu tief drin, du dämliche Ziege! Es gibt jetzt kein Zurück mehr«, herrschte Mathes sie an. »Gott weiß, dass ich es lieber selbst tun würde, aber ich hänge hier fest, und du weißt es. Ich muss eine Rede halten auf diesen aufgeblasenen alten Saftsack, und zwar in exakt … na toll! In exakt neun Minuten, und der Countdown läuft. Echt gutes Timing, Diana. Du tauchst hier uneingeladen um neun Uhr abends in einem Trenchcoat und mit einer Diva-Brille auf der Nase auf und veranstaltest ein peinliches Spektakel auf Harrisons Party – Himmel noch mal, dachtest du, meine Frau würde es nicht mitbekommen? Alle haben es mitbekommen.«
»Aber ich … «
»Geh jetzt und tu, was wir vereinbart hatten!« Der stählerne, bedrohliche Unterton in der Stimme des Mannes jagte Becca ein Frösteln über den Rücken. »Du musst es tun, und zwar gleich. Noch heute Nacht. Es gibt keine Alternative. Haben wir uns verstanden?«
»Aber, Richie, ich sage dir doch … «
Klatsch! Das Geräusch einer saftigen Ohrfeige. Gefolgt von einem Jaulen, wie von einem Hund, dem auf den Schwanz getreten wurde. Dann unterdrücktes Schniefen. »Du bist so ein Arschloch, Richie«, wimmerte die Frau.
»Ich weiß. Darum kommen wir so gut miteinander aus. Jetzt verschwinde und mach deine Arbeit! Für einen Rückzieher ist es zu spät. Kapiert?«
Es war ein unterdrücktes Schluchzen zu hören, dann ein Winseln und ein kehliges Stöhnen. Becca beugte sich gerade lange genug nach vorn, um zu sehen, dass der Mann sie küsste. Seine Hand fasste nach ihrem Schritt und befummelte sie. Die Frau klammerte sich wie eine Ertrinkende an seinem Hals fest.
Becca zuckte zurück. Sie fühlte sich schmutzig und befleckt, weil sie es beobachtet hatte.
Die Frau taumelte mit einem Schluchzer nach hinten und prallte gegen Marlas Schreibtisch. Mathes hatte sie offensichtlich von sich weggestoßen.
»Sei ein braves Mädchen, Diana«, warnte er sie. Die Tür fiel hinter ihm ins Schloss.
Diana heulte so lange vor sich hin, bis Becca sich allen Ernstes zu langweilen begann. Ihre Beine schliefen wegen ihrer verkrümmten Haltung ein. Sie war mehr als dankbar, als die Frau sich endlich fasste und, noch immer schniefend, aus der Tür stolperte.
Becca kämpfte sich mit tauben Beinen hoch. Sie trat auf der Stelle, bis die Nadelstiche so weit nachließen, dass sie tatsächlich laufen konnte, dann hängte sie sich die Handtasche über die Schulter und spähte noch rechtzeitig genug aus der Tür, um einen letzten Blick auf Dianas beigefarbenen Trenchcoat zu erhaschen, als sie in dem Treppenhaus verschwand, das zum rückwärtigen Parkplatz führte. Dort stand auch Beccas Leihwagen.
Sie wagte nicht, den Impuls genauer unter die Lupe zu nehmen, denn sonst würde sie der Mut verlassen. Du musst es tun, und zwar gleich. Noch heute Nacht , hatte der Mann gesagt.
Was für ein witziger Zufall. Genau das
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