Spiel ohne Regeln (German Edition)
ist er?«
Marlas Augen wurden schmal, und sie kniff die feinen Brauen zusammen. »Becca. Dies ist kaum der richtige Zeitpunkt, um … Autsch! He!«
Becca hatte ihr Handgelenk gepackt und drückte es mit blindwütiger Kraft zusammen, ohne auf ihre Fingernägel zu achten. » Wer ist er? «
Marla entriss ihr mit finsterer Miene ihren Unterarm. »Das ist Dr. Richard Mathes. Er ist ein sehr bekannter Thoraxchirurg. Er hält heute Abend die Abschiedsrede auf Harrison! Du wusstest das, Becca! Er hat sich wegen irgendeines medizinischen Notfalls verspätet.«
Becca presste beide Hände auf den Mund. »Oh Gott!«, keuchte sie. Sie würde sich jeden Moment die Seele aus dem Leib kotzen. »Ich muss hier raus. Mir wird schlecht«, würgte sie durch ihre vor den Mund geschlagene Hand hervor.
Becca stürzte blindlings in Richtung Damentoilette davon, dabei prallte sie gegen Tische und rempelte versehentlich eine der Bedienungen, die ein Tablett voll Sorbetschalen vor sich hertrug, mit dem Ellbogen an, sodass die Schalen umkippten und geradewegs auf der gestärkten weißen Bluse der bedauernswerten Frau landeten.
Becca flüchtete, während ihr aufgebrachte Rufe nachhallten. Sie hätte sowieso nicht stehen bleiben und sich entschuldigen können. Wenn sie den Mund öffnete, würde kein »Verzeihung« herauskommen. Auf Clubmitglieder in Abendgarderobe zu kotzen, würde es zudem nicht besser machen. Gott sei Dank gab es keine Schlange vor der Toilette! Sie schaffte es gerade noch rechtzeitig in die Kabine.
Die Kabinen in der Damentoilette waren kleine, mit pfirsichfarbenem italienischem Marmor ausgekleidete Separees. Jedes verfügte über ein eigenes Waschbecken, mit golden schimmernden antiken Armaturen und einem massiven Spiegel mit Goldrahmen. Als sie endlich den Mut fand, ihren über der Kloschüssel hängenden Kopf zu heben und hineinzuschauen, gab sie einen jämmerlichen Anblick ab. Oh Gott! Sie sah furchtbar aus.
Sie war weiß wie ein Krankenhauskittel. Aus Mund und Nase strömten Tränen, ihre Lider waren geschwollen und gerötet, ihre Wimperntusche komplett verlaufen.
Dazu das blanke Entsetzen in ihren Augen. Sie zitterte am ganzen Leib.
Hier? Warum ausgerechnet hier, bei einer ihrer Veranstaltungen? Wie groß standen die Chancen, dass so was passierte? Das Schicksal spielte ihr einen üblen Streich.
Sie harrte in dem kleinen Raum aus, solange sie es wagte, wischte die Toilette ab, reinigte ihr Gesicht, brachte ihr Haar, ihre Kleidung, ihre Mimik wieder in Ordnung. Sie wappnete sich und bemühte sich um ein freundliches, professionelles Lächeln. Oh nein, ein Lächeln brachte sie nicht zustande.
Aus dieser Nummer würde sie nicht so einfach rauskommen. Sie hatte noch nicht mal ihr Handy dabei, um Nick anzurufen und ihn verzweifelt um Hilfe anzuflehen. Es war in ihrem Büro, in ihrer Handtasche, den ganzen langen Gang hinunter, am anderen Ende dieses Flügels.
Sie versuchte, sich Mut zuzusprechen. Der Mann würde nicht einfach seinen pochierten Lachs stehen lassen und sich kurz entschuldigen, um sie umzubringen. Er wirkte auch gar nicht wie der Typ, der seine Morde selbst beging. Aber bestimmt konnte er ein paar diskrete Erkundigungen einholen, sich anschließend um eine Ecke stehlen und einen Anruf tätigen – und das wäre es dann mit Becca Cattrell.
Sie wäre, wie Nick es so nachdrücklich formuliert hatte, komplett am Arsch.
Es überraschte sie kein bisschen, dass Marla sie draußen erwartete, mit einer knackigen Pobacke auf dem langen Marmorfrisiertisch hockend. Ihre Arme waren verschränkt, ihre Stirn gerunzelt. Sie schien außer sich vor Wut.
Es waren einige andere Frauen anwesend, die sich zurechtmachten und die Hände wuschen, darum wartete Marla in eisigem Schweigen, bis sie sich verzogen hatten. Becca machte sich auf das Schlimmste gefasst, als die Tür hinter der letzten Frau zufiel und sie allein waren.
Ihre Chefin verlor keine Zeit. »Du hast mit ihm geschlafen, oder?«
Becca starrte die andere Frau verständnislos an. Die Frage traf sie vollkommen unvorbereitet, zu sehr schwirrten die Bilder von grauenvollen, tödlichen Verletzungen und Einschusslöchern durch ihren Kopf. »Äh … was? Mit wem?«, stammelte sie. »Ich … aber ich … «
»Spiel nicht die Dumme!«, zischte die ältere Frau. »Ich spreche von Mathes. Also bei ihm warst du während all der Tage, in denen du nicht zur Arbeit erschienen bist, hm? Die Handynachrichten, die Flittchendessous? Hat er dir einen falschen Namen genannt,
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