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Spiel ohne Regeln (German Edition)

Spiel ohne Regeln (German Edition)

Titel: Spiel ohne Regeln (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Shannon McKenna
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übelkeiterregender Klumpen aus Schmerz. Jeder Herzschlag hatte die Wucht eines Vorschlaghammers.
    Josh versuchte, an seinen Kopf zu fassen, und entdeckte eine weitere Quelle der Agonie: Seine Schultern waren nach hinten gezerrt, seine Handgelenke brannten wie Feuer von den einschnürenden, viel zu engen Fesseln, seine Finger waren taub und kalt. Sein Gesicht fühlte sich verkrustet an. Sein Rücken und seine Hoden taten weh, sein Magen rebellierte. Er schmeckte Blut, fühlte lockere Zähne. Er nahm allen Mut zusammen und blinzelte durch ein zusammengekniffenes Lid.
    Augen. Das war alles, was er sah. Große haselnussbraune Augen. Von langen Wimpern umrahmte, überschattete Augen, die ihn nachdenklich betrachteten. Der Schmerz schien ein wenig nachzulassen, darum öffnete er das eine Lid ein bisschen weiter, um das ganze Gesicht sehen zu können.
    Das Gesicht eines Mädchens. Herzförmig und hohlwangig. Zart und bildhübsch. Er hätte sie für einen Engel gehalten, der gekommen war, um ihn fortzubringen, wenn sie nicht so verdammt traurig ausgesehen hätte.
    Unter ihrem einen Auge prangte ein verblassender blauer Fleck. Sie war entsetzlich dünn. Jemand sagte etwas in fragendem Ton. Die Stimme eines kleinen Kindes. Josh konnte die gedämpften, zusammenhangslosen Worte nicht verstehen. Das Mädchen senkte den Blick und erwiderte etwas in einer Sprache, die er nicht zuordnen konnte.
    Die Neugier wurde stärker, und er öffnete beide Augen, musste sie aber wieder schließen und mehrere heftige Schmerzexplosionen über sich ergehen lassen, bevor er den Mut fand, es von Neuem zu versuchen. Allmählich nahm er seine Umgebung wahr.
    Heilige Muttergottes! Es dauerte eine Weile, bis er alles erfasst hatte. So viele Kinder. Das abgerissene Mädchen, bekleidet mit einem eingelaufenen T-Shirt und weiten Hosen, stand ganz vorn. Das T-Shirt verbarg ihre Figur nicht. Hübsch. Nein, schön sogar, trotz ihrer Magerkeit.
    Er wandte den Blick ab und wurde von seinem Sehnerv mit einem glühenden Nadelstich bestraft. Das geschah ihm nur recht. Dieses Küken war viel zu jung, als dass er irgendetwas südlich ihres Schlüsselbeins registrieren sollte.
    Sie war von anderen Kindern umringt. Zahllose dünne, schmutzig aussehende Kinder, von denen die meisten am Daumen lutschten.
    Sie befanden sich in einem weißen, lichtdurchfluteten Raum. Große, scheußliche, sirrende Neonröhren hingen über ihnen und produzierten grelles, schädelspaltendes Licht, das sämtliche Details unscharf machte wie bei einem überbelichteten Foto. Das Szenario erinnerte ihn an ein populärpsychologisches Quiz, an dem er einmal teilgenommen hatte. Im Sinne von: Du erwachst in diesem komplett weißen Raum. Wie fühlst du dich?
    Seine Antwort hätte eigentlich seine wahre Einstellung zum Tod enthüllen sollen. Nur dass er solchen Psychokram absolut zum Kotzen fand. Er brauchte kein Quiz, um zu wissen, was er vom Tod hielt. Der Tod war scheiße. Er sah ihm nicht freudig entgegen – weder seinem eigenen noch dem der Menschen, die ihm etwas bedeuteten. Punkt.
    Aber es hatte ihn nie jemand gefragt, wie er sich fühlen würde, wenn er in einem weißen Raum voller verhungert aussehender, in Lumpen gehüllter Kinder aufwachen würde. Er überlegte, welche tiefenpsychologischen Wahrheiten das wohl über eine Person ans Tageslicht bringen würde.
    Die Kinder drängten sich in einem Halbkreis um ihn zusammen. Sie glotzten ihn an wie einen aus dem All herabgestürzten Außerirdischen und als würden sie jeden Moment anfangen, ihn anzubeten. Das Mädchen beugte sich mit ihrem blutigen Lumpen zu ihm und tupfte ihm erneut die Stirn ab. Sie sagte etwas. Wiederholte es, lauter nun. Erst bei ihrem dritten Anlauf realisierte er, dass sie versuchte, etwas auf Englisch zu sagen.
    »Schmerz?«, fragte sie. Es klang wie »März«.
    »Ja«, krächzte er. Das Sprechen löste einen Hustenanfall aus, und mit jeder Konvulsion seines Brustkorbs schoss eine Feuersäule der Pein in seinem Schädel hoch. Nachdem er einmal angefangen hatte, konnte er das Husten nicht mehr unterdrücken. Dieser Schmerz. Scheiße!
    Dann kam in losen, bruchstückhaften Splittern allmählich alles zurück. Josh erinnerte sich an Emotionen – Entsetzen, Verrat, Angst, Scham – , doch die Abläufe und Geschehnisse, die sie hervorgerufen hatten, waren in winzige Scherben zerbrochen.
    Stück für Stück setzte er sie zusammen. Nadia, nackt im Schlafzimmer, die Hände vor den Mund geschlagen. Tränen waren ihr aus den

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