Spiel ohne Regeln (German Edition)
im Rahmen eines Ärztekongresses in Paris begonnen, als er ein aufstrebender Facharzt für Thoraxchirurgie gewesen war, der schon zahlreiche aufsehenerregende Erfolge zu verzeichnen hatte. Erleichtert darüber, von Helens Stimmungsschwankungen und Migräneattacken und dem unaufhörlichen Lärm und Chaos, das seine kleinen Töchter produzierten, wegzukommen, hatte er sich ins Pariser Nachtleben gestürzt.
Seine Abenteuer in dieser traumhaften Nacht waren von großen Mengen Alkohol und Kokain sowie enormen Geldsummen befeuert worden. Am Ende war er in einer luxuriösen Wohnung gelandet, wo ihn zwei bildschöne, hemmungslose Pariserinnen bis zum Morgengrauen verwöhnt hatten. Am nächsten Morgen war er klebrig vom Sex und mit pochendem Kopf in dem zerwühlten Bett aufgewacht.
Ein adretter grauhaariger Mann im Nadelstreifenanzug hatte neben dem Bett gewartet, bis Richard die Augen aufschlug. Mit britischem Akzent hatte er sich als Nigel Dobbs vorgestellt.
Mathes hatte einen langen, desorientierten Moment gebraucht, bis er den Grund für das ungewöhnliche klebrige Gefühl verstand: Blut glänzte auf den weißen Laken. Er drehte den Kopf, sah genauer hin. Ihm klappte die Kinnlade runter.
Die Handgelenke der Mädchen waren an die Pfosten des Holzbetts gefesselt. Ihre Kehlen waren aufgeschlitzt. Die Glieder von sich gestreckt , starrten sie mit weit aufgerissenen Augen blicklos ins Leere. Überall war Blut. Das Zimmer schwamm darin.
Es war wie ein böser Traum gewesen. Mit verquollenen Lidern hatte er zu Dobbs, dann wieder zu den Mädchen gestarrt, während ihm ein geschäftlicher Vorschlag unterbreitet wurde.
Richard war extrem überrascht gewesen, aber er hatte die Fassung bewahrt. Auf sein Gehirn war schon immer Verlass gewesen, es funktionierte hervorragend in Situationen, die andere als außerordentliche Belastungsprobe empfinden würden. Es schottete sich gegen den Stress ab. Er stellte sich oft vor, dass er einen guten Heerführer in einer Schlacht abgeben würde.
Einerseits war er wütend, dass man ihn manipulierte, andererseits faszinierte es ihn, seine eigenen Reaktionen angesichts dieses entsetzlichen Szenarios zu beobachten. Gefangen im beständigen weißen Rauschen des Alltags bekam ein Mann selten die Chance, die Tiefen der eigenen Seele zu ergründen. Und was konnte letzten Endes interessanter sein als die Tiefen der eigenen Seele?
Als befänden sie sich in einem Konferenzraum und nicht am Tatort eines Massakers, hatte Nigel Dobbs ihm die Situation in kühlem, knappem Ton dargelegt. Ein reicher ukrainischer Geschäftsmann, der anonym bleiben wollte, litt an einem akuten Herzleiden. Er brauchte eine sofortige Transplantation und wollte, dass die Operation von dem erfolgreichen jungen Chirurgen Dr. Mathes durchgeführt wurde. Der Preis spielte keine Rolle.
Mathes hatte Dobbs erklärt, dass es weniger eine Frage des Geldes als die der Verfügbarkeit eines gesunden und passenden Organs sei. Er hatte geglaubt, genau zu wissen, wie Organspenden in der Ukraine organisiert wurden …
»Kein Problem, Doktor. Die Gewebetypisierung wurde bereits durchgeführt.« Der Mann verzog seinen harten Mund zu einem dünnen, hinterhältigen Lächeln. »Wir haben eine Reihe potenzieller Spender. Darüber müssen Sie sich keine Gedanken machen.«
»Aber wie … ? Aber das ist nicht … aber Sie können nicht einfach … «
Eine Reihe potenzieller Spender? Richard hatte sich das Gehirn zermartert, dann hatte er begriffen. Die Erde tat sich unter ihm auf, und er stürzte in einen Abgrund grenzenloser Möglichkeiten, die seine Seele vor Angst schlottern ließen – und seinen Puls hochjagten .
Mit einem neutralen Ausdruck in seinen grauen Augen studierte Nigel Dobbs Richards Gesicht für einen langen Moment, bevor er nickte, als hätte sein Gegenüber einen Test bestanden.
»Alles ist möglich, Doktor. Für Geld. Und da wir gerade beim Thema sind: Mein Klient wird Ihnen den Betrag von fünf Millionen amerikanischen Dollar auf ein Schweizer Nummernkonto überweisen, um seiner Dankbarkeit Ausdruck zu verleihen. Selbstverständlich nur im Fall eines glücklichen Ausgangs.«
»Und wenn etwas schiefgeht?«
Nigel Dobbs lächelte wieder. »Ein unglücklicher Ausgang ist keine Option, die mein Klient in Erwägung zu ziehen bereit ist«, entgegnete er freundlich. »Das ist der Grund, warum er Sie möchte. Sie genießen den Ruf, Wunder vollbringen zu können. Er hat Informationen über Sie eingeholt, Doktor. Er kennt jedes Detail
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