Spiel ohne Regeln (German Edition)
vergrub das Gesicht in den Händen, versuchte, sich in einer geistigen Höhle zu verkriechen und dort zu bleiben.
Sie schrak zusammen, als sie seine Hand auf ihrer Schulter spürte. »Hm?«, murmelte sie. »Was ist?«
»Wir sind da.«
Sie schaute sich um. Ohne Brille nahm sie ihre Umgebung nur verschwommen wahr, besonders bei Nacht. Sie brachte ihr Gehirn auf Touren und blinzelte, bis sie das große, marode Haus erkannte, in dessen oberster Etage ihr Apartment lag. Die Dämmerung würde noch lange auf sich warten lassen. Der kalte, orangefarbene Schein der Straßenlampen wurde von der dichten Wolkendecke reflektiert.
»Woher weißt du, wo ich wohne?«, fragte sie.
»Ich habe in Sloanes Haus deine Handtasche durchsucht«, erklärte er. »Um deinen Führerschein und deine Bankkarten entsorgen zu können. Ich wollte nicht, dass Zhoglo sie findet.«
»Daher hattest du meinen Lippenstift.«
»Ja. Keine Ahnung, warum ich ihn eingesteckt habe.«
Sie blinzelte. Er hatte an alles gedacht. Ihre Handtasche und alle anderen Sachen waren verloren, aber nur, weil er von Anfang an versucht hatte, ihre Haut zu retten. Becca zermarterte sich das Hirn, was sie Bedeutungsvolles sagen könnte, das nicht idiotisch rüberkommen würde – bevor er für immer verschwinden würde.
Entschuldige, dass ich dein Leben durcheinandergebracht habe! Danke, dass du mich vor einem Schicksal bewahrt hast, das schlimmer wäre als der Tod! Der Sex war übrigens super. Adieu, man sieht sich.
Sie fragte sich, ob sie ihn tatsächlich jemals wiedersehen würde, und musste einen Anflug bizarrer, irrationaler Panik niederkämpfen, als sie sich ausmalte, wie er sang- und klanglos in der Dunkelheit entschwand und sie sich selbst überließ, losgelöst von allem, ihr Innerstes ein Scherbenhaufen.
Er trommelte mit den Fingern aufs Lenkrad. Wahrscheinlich überlegte er, wie er sie aus seinem Wagen herausbekäme. Ihre Zunge war wie gelähmt.
»Ich bring dich noch nach oben«, verkündete er.
Mist! Becca wollte nicht, dass er wegfuhr, aber genauso wenig wollte sie ihn in ihre Wohnung lassen. Er war so groß und blutbesudelt und unergründlich. Er könnte ihr Nest zerstören, es mit Gefahr und Ungewissheit infizieren.
Egal. Der Schaden war bereits geschehen. Und sie konnte ihn schlecht abweisen.
»Na gut«, murmelte sie, aber er war schon aus der Tür und umrundete den Van, dann hob er sie heraus und stellte sie auf ihre wackligen Beine.
Sie hätte es sowieso nicht allein die Treppe hinaufgeschafft. Er legte ihr fest den Arm um die Taille und entlastete ihre Füße von einem Großteil ihres Gewichts.
Ihr Gehirn schien einen Moment auszusetzen, als sie auf ihre verschlossene Tür starrte. Der Schlüssel. In ihrer Handtasche. Mr Big hatte ihr gerade erst erklärt, dass beide Lichtjahre entfernt waren, in einem anderen Universum.
»Ich schätze, du hast nicht einen Ersatzschlüssel unter irgendeiner Topfpflanze?«, erkundigte er sich.
Becca schüttelte den Kopf. »Meine Vermieterin wohnt unter mir«, sagte sie. »Aber ich kann nicht … « Sie betrachtete ihre abgerissene Erscheinung.
»Nein«, stimmte er zu. »Das kannst du nicht.« Er bückte sich, inspizierte das Schloss, dann brachte er ein Taschenmesser zum Vorschein und klappte ein schmales, gebogenes Ding heraus.
Binnen weniger Minuten schwang die Tür auf. Die vertrauten Aromen von Vanille und Rosen strömten ihr entgegen. Sie taumelte nach drinnen.
Mr Big packte ihren Arm und zerrte sie zurück. »Ich zuerst. Nur für den Fall.«
Auf einmal hielt er seine Waffe in der Hand. Sie löste den Blick von ihr, als er sich in das Halbdunkel ihrer Wohnung stahl. Er brauchte nicht lange. Sie war klein. Er kam zurück und winkte sie herein. Becca tastete nach dem Lichtschalter.
Mr Big wirkte völlig deplatziert. Er sah so wild und lebendig aus, wie er in der Kulisse aus hellen Farben und zarten Vorhängen auf Erkundungstour ging. Ihr Apartment wirkte plötzlich noch kleiner, mit diesem riesenhaften, blutbesudelten, bewaffneten Mann darin.
Er zog die Vorhänge ein wenig beiseite, spähte aus den Fenstern, nahm alles genau unter die Lupe, als fürchtete er, dass jeden Moment etwas auf ihn zuspringen und ihn beißen könnte. Er strich mit den Fingern über eine flauschige Häkeldecke, die über ein Sofa drapiert war, pikte in ein weiches Kissen und untersuchte die schlaffen Seidenblumen, die von einem Regal herabbaumelten. Er inspizierte ihr Bücherregal, ihren CD -Ständer. Carries Drucke. Joshs
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