Spiel ohne Regeln (German Edition)
machte ihn rasend. Vergleichbar mit einer intensiven Gefühlsaufwallung entfesselte die Sache in ihm das Verlangen zu essen, und zwar völlig ungeachtet des üppigen Mahls, das er vorhin erst genossen hatte. Starker Stress löste bei ihm immer einen überwältigenden Heißhunger aus, der ihn an jenen quälenden Hunger aus seiner Kindheit erinnerte, als er madenverseuchte Müllhalden durchforstet hatte, um zu überleben.
Die verlogene Hure mit den wippenden Titten hatte etwas von einer Grand-Marnier-Schokoladentorte gesagt. Gott behüte, dass auch sie verschwendet würde!
Er trat seine Kippe auf dem Boden aus und ging in die Küche. Da stand sie, auf einem Desserttablett neben der Tür. Eine verführerische Leckerei, von einer Schicht dunkler Schokolade überzogen und mit Sirup beträufelt.
Dummerweise hatte Solokov ausgerechnet diesen Platz gewählt, um einem von Zhoglos Männern die Halsschlagader aufzuschlitzen. Das Desserttablett war über und über mit Blut bespritzt. Zhoglo tat es mit einem geistigen Achselzucken ab und bohrte seine Finger hinein. Seine Männer würden ihm ein paar Tropfen ihres Herzblutes nicht missgönnen, dachte er, als er sich den Kuchen in den Mund stopfte und ihn, ohne zu kauen, schluckte.
Und er war alles andere als zimperlich.
Die lange Rückfahrt in die Stadt war so surreal wie das Übersetzen mit dem Schlauchboot. Heiße Luft blies Becca entgegen, trotzdem konnte sie nicht aufhören zu zittern. Sie driftete von einem Wachtraum in den nächsten – Albträume, in denen sie immer hilflos, immer nackt, immer unterkühlt war und ihre Beine in eisigem Schlick versanken. Männer mit aufgeschlitzten Kehlen, die aufklafften wie rote Münder und ihren Zorn in einer schroffen, fremden Sprache herausbrüllten. Das rosarote, grinsende Gesicht der Spinne, in deren Augen perverse Gier glitzerte, als sie Beccas Brüste betatschte. In ihrem Traum ließ der Mann es nicht dabei bewenden. Seine Finger drangen einfach durch ihre Haut, als wäre sie aus Butter, schlossen sich um ihr Herz und drückten mit brutaler, stählerner Kraft zu, bis sie glaubte, es müsste explodieren …
Nach dem Traum zwang sie ihre Augen, offen zu bleiben. Ihr tat jeder Knochen weh. Noch immer rauschte das Adrenalin durch ihren Körper, sodass sie trotz ihrer Erschöpfung wie eine Stimmgabel zu vibrieren schien. Sie fühlte sich so bloßgestellt, als würden in einem Sportstadion grelle Lichter auf sie herabstrahlen. Es gab keine Deckung. All die schmerzvollen, schmählichen, beschämenden Wahrheiten über sie wurden vor aller Augen auf dem Präsentierteller dargeboten. Wie klein und dumm sie doch war! Sie hatte schreckliche Fehler begangen.
Dieser Mann hatte seinen Hals riskiert, hatte etwas unglaublich Mutiges und Gefährliches getan, um sie zu retten.
Menschenleben standen auf dem Spiel. Ich tausche sie gegeneinander ein. Seit Jahren .
Sie verdankte ihm ihr Leben, und das war eine Schuld, die sie niemals würde begleichen können. Es hatte keinen Sinn, ihn noch einmal nach seinem Namen zu fragen. Wie sie ihn einschätzte, würde er ihr seinen echten sowieso nicht verraten.
Sie schlang die Arme um ihren Oberkörper, hielt die thermische Decke fester und versuchte, Sekunde für Sekunde ihre eigene Existenz zu ertragen. Die Zeit verstrich nur langsam. Ihre Füße schmerzten, ihre Gelenke schmerzten, ihre Handgelenke schmerzten vom Abfangen ihres Sturzes, um nicht in der Blutlache zu landen, ihre Schultern schmerzten, nachdem sie in der Nacht zuvor an das Geländer gefesselt gewesen war. Es gab keine Stelle an ihrem Körper, die nicht schmerzte.
Ihr einziger kleiner Trost bestand darin, dass Mr Big kein rücksichtsloser Verbrecher war.
Wundervolle Neuigkeiten.
Nicht, dass es einen Unterschied gemacht hätte. Er war ein rücksichtsloser Sonstwas, was vermutlich genauso schlimm war. Folglich war es völlig unerheblich, dass er ihr Leben entgegen jeder reellen Chance gerettet hatte und sie ganz wild vor sexueller Erregung machte, wenn er gerade mal nicht den Helden spielte. Irrelevant.
Außerdem musste er sie verachten, weil sie seine Operation vermasselt hatte. Er hatte nur deswegen Sex mit ihr gehabt – echten Sex – , weil man ihn dazu gezwungen hatte. Die Nacht davor zählte nicht. Es wäre idiotisch, es persönlich zu nehmen.
Alles in allem war die Erfahrung, die sie zusammen durchgemacht hatten, keine gute Basis für eine Beziehung. Nein, es war noch nicht mal eine Basis für einen One-Night-Stand.
Becca
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