Spiel ohne Regeln (German Edition)
abstrakte Fotokunst. Und die Familienfotos über der Couch.
»Ist das der Kerl?«
Er hatte das eine Bild von Justin entdeckt. Sie war noch nicht dazu gekommen, es wegzuwerfen. »Ja. Woher wusstest du das?«
Er zuckte die Schultern. »Er sieht aus wie ein Arschloch. Du solltest es wegschmeißen.« Er nahm es von dem Regal und reichte es ihr. Becca warf es mitsamt Rahmen in den Papierkorb. Sie konnte ihm nur zustimmen.
Ihr Leben vor Nick schien eine lange, lange Zeit zurückzuliegen. Sie war peinlich berührt, als er zu den ramponierten Stofftieren auf dem Regal hinaufstarrte, mit denen Carrie und Josh gespielt hatten, als sie noch klein waren. Vermutlich dachte er, dass sie sie sammelte. Kindisch, aber manche Leute taten das.
Er machte keine Anstalten zu gehen. Becca wog ihre Optionen ab. Es gab keine sozialen Regeln für das, was passiert war. Sollte sie ihm einen Drink anbieten, als hätte er sie einfach nach einer Verabredung heimbegleitet? Oder sollte sie ihm lieber einen Kaffee machen?
Dies war ihre letzte Chance, ihm die Frage zu stellen, die sie ansonsten ewig verfolgen würde. Auch wenn sie die Antwort fürchtete.
Sie stützte sich auf die Tischkante und schluckte mehrere Male. »Du sagtest, dass Menschenleben von dieser Operation abhängen würden und dass du eines gegen meines eingetauscht hättest.«
Seine Augen wurden schmal. »Ja«, bestätigte er vorsichtig.
Sie holte tief Luft. »Wessen?«
Er blieb so lange stumm, dass sie schon dachte, er würde gar nicht mehr antworten. Sie würde ohnmächtig werden, wenn sie noch länger den Atem anhielt.
»Ich habe übertrieben«, sagte er. »Sie ist wahrscheinlich schon längst tot.«
Becca riss die Augen auf. Sie fühlte sich, als würde ihr ein scharfes Messer in der Brust umgedreht. »Sie?«, wisperte sie.
Er presste die Kiefer zusammen. Ein Muskel zuckte. »Ein junges Mädchen. Sie wurde letztes Jahr entführt. Aus Boryspil in der Ukraine. Ihr Vater arbeitete als verdeckter Ermittler. Er hat mir geholfen. Jemand hat ihn verraten, und er wurde ermordet. Ich weiß nicht, wo die Sicherheitslücke war, aber es ist meine Schuld.«
Ihre Kehle war wie zugeschnürt und brannte. Sie wartete, dass er weitersprach.
Er hob die Schultern. »Es besteht kein Grund zu der Annahme, dass sie noch am Leben ist. Aber ich habe ihrer Mutter versprochen … Ich hatte gehofft, Sonia irgendetwas sagen und der Ungewissheit ein Ende bereiten zu können. Das wird mir nun nicht mehr gelingen. Aber scheiß drauf! Vermutlich hätte ich sowieso nichts herausgefunden.«
Sie presste die Lippen aufeinander, bis es wehtat.
»Es war eine aussichtslose Mission«, fuhr er fort. »Aber da du gefragt hast … Das war auch der Grund, warum mir alles egal war.«
Der Knoten in ihrem Hals schwoll zu bedenklichem Umfang an. In ihren Augen schimmerten Tränen.
Er reagierte bestürzt. »Oh, verdammt! Bitte! Ich hätte es dir nicht erzählen sollen.«
Becca versuchte, die Tränen zurückzuhalten. »Das tut mir so leid. War sie … ?«
»Ich will nicht mehr darüber reden. Ich versuche, so wenig wie möglich daran zu denken, denn sonst drehe ich noch durch. Vergiss, was ich gesagt habe!«
Seine Worte erschütterten sie. »Okay«, flüsterte sie. »Ich wollte nur … Ich wünschte, ich könnte es in Ordnung bringen. Ich wünschte, es gäbe irgendetwas, das ich tun kann, um zu helfen.«
Sein undurchdringlicher Blick strich über ihr zerrissenes, verwüstetes Selbst. »Es gäbe da schon etwas«, meinte er.
Erleichtert wischte Becca sich mit den Unterarmen die Tränen aus dem Gesicht. »Wirklich? Was kann ich … ?« Ihre Stimme verklang, als ihr Körper übersetzte, was sie in den unergründlichen Tiefen seiner Augen las.
Als Antwort zog sich an einer tiefen, heißen Stelle in ihr etwas zusammen.
Wie konnte sie nach allem, was passiert war, nur an Sex denken?
Aber sie tat es. Und sie wollte es. Hier und jetzt. Sie verzehrte sich danach, sich auf ihn zu stürzen. Er war so stark und unerschütterlich und pulsierte vor erotischer Energie.
Natürlich wollte sie sich an etwas Starkem festklammern. Sie fühlte sich schrecklich verletzlich und verängstigt. Sie sehnte sich verzweifelt nach Trost, aber dieser Mann würde ihr diesen Wunsch nicht erfüllen. Er war alles andere als ein Trostspender.
Er würde nehmen und nehmen, bis sie verbraucht wäre. Sie konnte seinen Hunger quer durch das Zimmer spüren. Und sie fühlte sich furchtbar zerbrechlich.
Mit instinktiver weiblicher Wachsamkeit
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