Spiel um Macht und Liebe (German Edition)
Sauls Eltern hatten viele Freunde. Immer kamen Leute zufällig zu Besuch. Die große Küche war stets voller Wärme und Gelächter, und wenn Sauls Mutter manchmal verärgert die Stirn runzelte, weil er seine Jeans zerrissen hatte, so umarmte und küsste sie ihn trotzdem. Sie sagte ihm immer, er solle sich keine Sorgen machen, wenn er sie fragte, ob sie tatsächlich arm seien.
Damals hatte Saul nicht verstanden, weshalb sein Vater sich solche Sorgen wegen des Geldes machte. Es kam Saul so vor, als gebe es keinen schöneren Platz als ihr kleines, gemütliches Haus mit dem unordentlichen Garten. Für ihn gab es kein schöneres Gefühl, als von der Schule nach Hause zu kommen und zu seiner Mutter in die Küche zu gehen, die lächelnd auf ihn wartete und ihn umarmte. Im Grunde wäre Saul davon überzeugt gewesen, dass sie die glücklichste Familie überhaupt waren, wenn sein Vater sich nicht so oft Sorgen gemacht hätte. Aber er wusste, dass etwas nicht stimmen konnte, weil sein Vater unglücklich war. Sein Vater drängte ihn ständig, nicht dieselben Fehler wie er selbst zu begehen, und das verwirrte und beunruhigte ihn, weil er seinen Vater liebte und wollte, dass er glücklich war.
Es bedrückte Saul sehr, dass ein Mann wie sein Vater so unglücklich war, obwohl er von allen gemocht und von vielen geliebt wurde und in ihrer Familie so viel Wärme und Freude herrschte.
Saul fühlte sich schuldig und ängstlich, weil er nicht immer verstehen konnte, weswegen sein Vater in diese Stimmung geriet.
Saul wusste, dass sein Vater mit Christie nicht so sprach wie mit ihm. Es kam ihm so vor, als müssten Mädchen sich keine Gedanken darüber machen, Erfolg im Leben zu haben. Mädchen durften immer fröhlich sein und brauchten nicht an solche Dinge zu denken. Saul liebte seine Schwester, aber er lernte aus den Reden seines Vaters, dass es die Aufgabe der Männer war, für die Frauen zu sorgen und sie zu beschützen. Und vor allem musste er genug Geld verdienen, um sie anständig zu versorgen.
Sauls Vater hatte seine Chancen im Leben gehabt, das hatte er Saul oft erzählt, aber er hatte sie nicht voll genutzt. Saul dürfe seine Fehler nicht wiederholen und müsse fleißig für die Schule arbeiten, hatte sein Vater gesagt. Es gebe in ihrer Familie nichts zu erben, und seine Familie habe nicht den Einfluss, ihm eine gesicherte Zukunft zu garantieren. Er müsse aus eigenem Antrieb heraus erfolgreich sein.
Nach einem Schuljahr bekam Saul das drittbeste Abschlusszeugnis ausgehändigt. Seine Mutter lobte ihn, erinnerte ihn aber daran, dass es noch andere Dinge und Eigenschaften gäbe, die genauso wichtig wie Klugheit seien.
Sein Vater hingegen sagte ihm, dass nur die besten und allerklügsten Kinder die Chance bekamen, es im Leben zu etwas zu bringen. Und in gewisser Weise spürte Saul, dass er seinen Vater enttäuscht hatte. Als Dritter war er irgendwie nicht gut genug.
Im nächsten Jahr wurde er Bester. Sein Vater war sehr glücklich, doch irgendwie fühlte Saul sich innerlich leer. Und auch einsam. Er dachte an all die Fußballspiele, die er versäumt hatte, und die Nachmittage, die er zu Hause mit Lernen verbrachte, während seine Freunde draußen Spaß hatten. Und er sagte sich, dass er sich über seinen Erfolg zu freuen hatte, genau wie er es bei seinem Vater gesehen hatte.
Kurz vor seinem Schulabschluss hatte Saul diese früheren kindlichen Gefühle wie Zweifel und Kummer abgelegt. Er war jetzt beinahe ein Mann und hatte die Werte seines Vaters so sehrübernommen, dass es ihn nicht mehr interessierte, was er empfand. Gefühle gab es sowieso nur für Mädchen. Er hatte wichtigere Dinge, um die er sich kümmern musste.
Saul würde Erfolg haben. Das sagten alle, und er konnte sehen, wie stolz und glücklich sein Vater darüber war. Er würde auf der Oxforduniversität angenommen werden, wenn er in seinen Abschlussprüfungen so gut abschnitt, wie seine Lehrer es von ihm erwarteten. Schon jetzt wusste er, welche Fächer er belegen würde, und dann würde er nach Amerika gehen, um einige Zeit in Harvard zu studieren und dort seinen Abschluss zu machen.
Danach würde ihm die Welt, zumindest die Geschäftswelt, offenstehen. Bei seinen Zeugnissen würden viele Firmen darauf aus sein, ihn einzustellen.
Saul sah den Weg, der vor ihm lag, sehr deutlich. Ein Mann ohne Geld und einflussreiche Familie musste hart arbeiten, um etwas zu erreichen, und genau das würde er tun. Seine Familie, vor allem sein Vater, verließ sich darauf,
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