Spiel um Sieg und Liebe
bevor sie weitersprechen konnte. »Außerdem ist das lange vorbei. Sie ist gar nicht Tads Typ. Amy ist sehr kühl und beherrscht, sie passt wohl eher zu einem Lord als zu meinem Bruder. Eine Weile hatte er eine Schwäche für sie, das ist alles.« Jess fuhr sich mit der Zunge über die Lippen und vermied es, ihren Mann anzusehen. »Und sie hat es wohl auch nicht ernst gemeint, sonst hätte sie ja wohl kaum so schnell diesen Wickerton geheiratet. Diese Amy hat Tad unglücklich gemacht, sehr unglücklich sogar.«
»So, so«, murmelte Mac und ließ Jess dabei nicht aus den Augen. Es war sonst gar nicht ihre Art, eine solch vorgefasste Meinung über einen Menschen zu haben. Außerdem hatten ihre Worte so geklungen, als müsste sie sich verteidigen. Mac erschien die Sache immer seltsamer. »Ich nehme an, Tad ist viel zu sehr mit seiner Karriere beschäftigt, als dass er sich wirklich ernsthaft nach einer Frau umsehen würde, oder?«
»Ja.« Wieder kam ihm diese Zustimmung eine Spur zu schnell. »Ja, Tad hätte Amy niemals gehen lassen, wenn er sie tatsächlich geliebt hätte. Dafür ist er viel zu besitzergreifend.«
»Und stolz«, fügte Mac ruhig an. »Ich bin sicher, dass er niemals einer Frau nachlaufen würde – ganz gleichgültig, wie sehr er sie mag.«
Jess wandte sich etwas ab und sah starr geradeaus. Das Stadion Roland Garros war nicht mehr da, in ihren Gedanken war sie wieder auf dem beinahe leeren Rasenplatz von Forest Hills; Tad hatte sich auf das Gitter gestützt und sah hinunter auf den Centre-Court.
Jess kam er vor wie ein Kapitän auf der Brücke seines Schiffes. Sie liebte ihren Bruder sehr, und in solchen ruhigen Augenblicken war sie sich dieser Liebe ganz besonders bewusst. Er war alles für sie – Bruder, Vater, Held. Er hatte es ermöglicht, dass sie jetzt in einem schönen Haus lebte, er hatte für ihre Ausbildung gesorgt – und doch hatte Tad weder sie noch ihre Mutter jemals spüren lassen, dass er es war, der das alles ermöglicht hatte.
Jess ging zu ihm, legte einen Arm um seine Taille und lehnte ihren Kopf gegen seine Schulter.
»Denkst du an das Spiel heute Nachmittag?«, fragte sie leise. Tad musste gegen Chuck Prince im Finale antreten.
»Hm?« Tad war mit seinen Gedanken ganz weit weg gewesen. »Nein, eigentlich nicht«, antwortete er.
»Ist es nicht ein seltsames Gefühl, ausgerechnet gegen deinen besten Freund spielen zu müssen?«
»Daran darf man während des Spiels nicht denken.«
Jess spürte, dass er sich nicht wohl fühlte. Er war unruhig, und irgendetwas schien ihm Sorgen zu bereiten. Sie legte ihren Arm etwas fester um seine Taille. »Tad, was ist los?«
»Nichts, ich bin nur etwas unruhig.«
»Hattest du Krach mit Amy?«
»Nein, wie kommst du darauf?«, meinte er kurz.
Danach verfiel er wieder in Schweigen, und das trug nicht gerade dazu bei, dass Jess beruhigt gewesen wäre. Außerdem beobachtete sie seine Affäre mit Amy schon einige Zeit. Noch nie hatte ihr Bruder es so lange mit einer Frau ausgehalten. Das war ganz ungewöhnlich für ihn.
Für Jess war Amy eine Frau, die sie nicht einordnen konnte. Ihre kühle Beherrschtheit, die sie auch ihr gegenüber nie aufgegeben hatte, deutete Jess als Arroganz. Diese Frau hing nicht so an ihrem Bruder wie all die anderen Frauen vorher. Sie nahm nicht jedes Wort von Tad für bare Münze, und sie himmelte ihn nicht an.
»Denkst du eigentlich jemals an die Vergangenheit, Jess?«, unterbrach Tad ganz unerwartet ihre Gedanken.
»An die Vergangenheit?«
»Ja, als wir beide noch Kinder waren.« Sein Blick ging über den Platz, aber er schien nichts davon zu sehen. »Diese kleine, schäbige Wohnung, die wir damals hatten. Kannst du dich noch an die erinnern? Und an die De Marcos nebenan, die sich ständig so laut stritten, dass wir alles mithören konnten? Im Flur roch es nach billigen Kohlgerichten und manchmal auch nach Alkohol.«
Der Klang seiner Stimme beunruhigte Jess. Irgendetwas bedrückte ihn. Wenn sie ihm doch nur helfen könnte! »Nein, nicht oft«, flüsterte sie. »Ich kann mich auch nicht mehr an alle Einzelheiten erinnern. Als du uns da herausgeholt hast, war ich ja noch nicht einmal fünfzehn.«
»Ich zweifle manchmal daran, dass man seine Vergangenheit je abstreifen kann.« Sein Blick war starr geradeaus gerichtet. »Die Wohnung, der Geruch. Ich kann das einfach nicht vergessen. Ich habe Amy einmal gefragt, an welchen Geruch sie sich erinnert, wenn sie an ihre Kindheit zurückdenkt. Sie sagte, an den Duft
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