Spiel ums Glueck
Lippen gehangen wie heute Abend die Gäste von „Penny House“. Sie verharrten regungslos und starrten mit offenen Mündern zu ihr hoch. Die meisten hatten nicht einmal gewagt, ihren Wein zu trinken, während Cassia ein amüsantes kleines Gedicht vortrug, dessen letzte zwei Zeilen noch ausstanden.
Sie neigte den Kopf zur Seite. „Wie also hat Cäsar den
Tiber gequert?“ Sie ließ den Blick über die Gesichter der Männer schweifen, während sie mit triumphierendem Unterton weitersprach. „Nun, schwimmend, schwimmend, wie die Historie uns lehrt!“
Die Gentlemen klatschten begeistert Beifall und brachen in Bravorufe aus, was wohl auch ihrem recht ausgiebigen Likörgenuss geschuldet war. Cassia knickste, so elegant es ihr auf der kleinen Standfläche möglich war.
„Zugabe!“, skandierten einige der Herren im Chor, und eine einzelne Stimme rief: „Bei Ihnen ist es unterhaltsamer als im ,Drury Lane“! “
„Sie sind zu freundlich, und ich danke Ihnen, Gentlemen!“, erwiderte sie und ließ sich von einem Diener vom Stuhl helfen. Amariah trat auf sie zu und reichte ihr ein Glas Wasser. Nachdem ihr Durst gestillt war, hakte Cassia sich bei der Schwester unter, und die beiden Frauen begannen ihren Rundgang durch den Salon, wobei sie dem einen oder anderen Gast freundlich zunickten und immerzu lächelten.
„Wie lange ist es her, dass du diesen Vers das letzte Mal aufgesagt hast!“ Amariah seufzte wehmütig.
Cassia grinste. „Ich kann es nicht glauben, dass ich ihn über all die Jahre behalten habe und die Gentlemen so herzhaft lachen mussten! Wenn ich noch mehr solcher heiteren Verse zum Besten geben soll, werde ich wohl bald auf die zurückgreifen müssen, die Papa in seinen Predigten verwendet hat.“
„Bitte nicht.“ Amariah verbiss sich ein Lachen und beobachtete indessen aufmerksam den Eingangsbereich, um zu entscheiden, wer begrüßt oder mit besonderer Aufmerksamkeit bedacht werden musste. „Vater wäre bestimmt amüsiert, wenn er dich all die alten Verse und Gedichte aus unserer Kindheit vor diesem ganz speziellen Publikum vortragen sähe.“ Amariah fächerte sich Luft zu. „Ach, heute Abend ist es wirklich sehr warm hier drinnen. Komm, begleite mich nach draußen, damit wir uns für einen Moment frische Luft um die Nasen wehen lassen können.“
Die Schwestern bahnten sich einen Weg durch die Menschenmenge und schlüpften durch die Terrassentür hinaus auf das schmale Stückchen Erde hinter dem Haus, das in Londoner Kreisen bereits als ein Garten galt. Indes genügte es völlig, um eine laue Nacht wie die heutige, die sich durch einen unvergleichlichen Sternenhimmel auszeichnete, zu genießen.
„Viel besser“, sagte Cassia und nahm einen tiefen Atemzug. Sie wusste, dass sie nicht lange bleiben konnten, sollte man ihre Abwesenheit nicht bemerken, und empfand die kleine Verschnaufpause daher als besonders angenehm. „Pratt hat mir erzählt, dass der Reim von Hannibals Elefanten, dem bei der Alpenüberquerung Eiszapfen am Rüssel hingen, gestern in der Zeitung abgedruckt war. “
„Wenn Hannibals Elefant ,Penny House“ ins Gespräch bringt, soll es mir recht sein.“ Amariah warf einen Blick über ihre Schulter in den Salon und wurde auf einen im Türrahmen erscheinenden Gast aufmerksam. „Wie ich sehe, ist dein Mr Blackley heute Abend wieder bei uns. In letzter Zeit hatten wir oft das Vergnügen.“
„Er ist nicht mein Mr Blackley, Amariah! “
Die Schwester spitzte die Lippen und sah Cassia überrascht an. „Nicht?“
„Nein, und das weißt du sehr gut“, protestierte Cassia, während sie verstohlen zur Terrassentür schaute. Blackley stand noch immer auf der Schwelle. Hinter ihm erhellten die Lüster den Raum mit festlichem Licht, sodass seine Gestalt im Augenblick im Schatten lag.
Obwohl Cassia so tat, als habe sie die Nachricht über sein Kommen mit Gleichmut auf genommen, konnte sie sich nicht daran hindern, ihn aufmerksam zu beobachten. Er hob sich von den anderen Gentlemen im Salon nicht nur durch seine Größe und die sonnengebräunte Haut ab. Ihn umgab etwas Besonderes, etwas, das ihn von sämtlichen Gästen, die hier verkehrten, unterschied. Er strahlte eine Distanz, vielleicht auch eine Autorität aus, der sich alle anderen Herren unwillkürlich beugten. Sie schienen sich zu hüten, ihm zu nahe zu kommen oder seinen Blick aufzufangen. Blackley war ebenso vornehm gekleidet wie sie, doch ihm fehlte die Ausstrahlung der Behaglichkeit. Er wirkte, als fühle er sich
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