Spielen: Roman (German Edition)
stellte ich mir Situationen vor, in denen ich die beiden rettete oder auf andere Art in ein so positives Licht gerückt wurde, dass sie ihren Fehlgriff erkennen und zu mir zurückkehren würde, oder ich stellte mir vor, ich würde sterben, und malte mir die gewaltige Trauer aus, die sie dann übermannen würde, und ihre Reue, wenn sie begriff, dass das, was sie in Wahrheit wollte, nämlich mit mir zusammen zu sein, jetzt nicht mehr möglich war, da ich blumenbekränzt im Sarg lag. Der Gedanke an meinen eigenen Tod war damals generell eine süße Vorstellung, denn dann würde ja nicht nur Anne Lisbet bereuen, was sie getan hatte, auch Vater würde dies tun müssen. Weinend würde er vor meinem Sarg stehen müssen, vor mir, dem allzu früh Verstorbenen. Die ganze Siedlung würde kommen, und alles, was sie über mich gedacht hatten, musste revidiert werden, denn jetzt war ich von ihnen gegangen, und der Mensch, der ich eigentlich gewesen war, würde zum ersten Mal deutlich zu Tage treten. Oh ja, der Tod war süß und gut und ein großer Trost. Aber obwohl mir das mit Anne Lisbet leidtat, war sie doch immer noch da, ich sah sie ja täglich in der Schule, und solange sich daran nichts änderte, gab es Hoffnung, wenn auch nur eine geringe. Die Düsternis, die der Gedanke an sie manchmal in mir keimen ließ, gehörte deshalb zu einer ganz anderen Kategorie als jene andere Düsternis, die mich von Zeit zu Zeit überkam, mich deprimierte und auf allem lastete und die offenbar auch Geir nicht unbekannt war. Eines Abends saßen wir in seinem Zimmer zusammen, und er fragte mich, was mit mir los sei.
»Es ist nichts Bestimmtes«, antwortete ich.
»Du bist so still!«, sagte er.
»Ach das«, erwiderte ich. »Ich bin einfach nur so furchtbar traurig.«
»Weswegen?«
»Ich weiß es nicht. Es gibt keinen bestimmten Grund. Ich bin einfach traurig.«
»So geht es mir auch manchmal«, meinte er.
»Wirklich?«
»Ja.«
»Dass du einfach traurig bist, ohne dass etwas Bestimmtes passiert ist?«
»Ja, das geht mir genauso.«
»Das wusste ich nicht«, sagte ich. »Dass andere auch so was haben wie ich.«
»So können wir es nennen«, entgegnete er. »›So was‹. Das können wir sagen, wenn wir so was fühlen. ›Ich habe gerade so was‹, können wir sagen, und dann begreift der andere sofort, was los ist.«
»Das ist eine gute Idee«, sagte ich.
Auch andere Worte kamen neu hinzu, zum Beispiel eines, das ich von Yngve lernte, als er mich darüber aufklärte, dass das richtige Wort für ficken »Beischlaf« sei, und diese Erkenntnis war so überwältigend, dass ich Geir bis auf den Berg hinaufführte, ehe ich mich traute, es ihm weiterzusagen. »Man nennt es Beischlaf «, sagte ich ihm, »aber erzähl bloß keinem, dass du es von mir gehört hast! Das musst du mir versprechen!« Er versprach es. Ansonsten verbrachte er immer mehr Zeit bei Vemund, und manchmal kam Vemund sogar zu ihm. Das blieb mir völlig unverständlich, und das sagte ich ihm auch. Warum triffst du dich eigentlich mit Vemund? Er ist dick und dumm und der schlechteste von allen in der Klasse. Darauf gab er mir nie eine richtige Antwort, sondern meinte nur, er sei gerne bei ihm. Aber warum, fragte ich ihn daraufhin. Was macht ihr denn so Fantastisches bei ihm? Ach, antwortete Geir, meistens zeichnen wir … Sogar in der Schulstunde wandte er sich manchmal an Vemund, wenn wir etwas in Zweiergruppen machen sollten, statt an mich, wie er es früher automatisch getan hatte. Zwei, drei Mal ging ich mit ihm zu Vemund hinauf, vor allem, um in Anne Lisbets Nähe zu sein, aber ich fand alles, was die beiden machten, langweilig, und wenn ich ihnen das sagte und etwas anderes vorschlug, verbündeten sie sich gegen mich und wollten mit dem weitermachen, was sie gerade taten. Aber das fand ich völlig in Ordnung, wenn er seine Zeit unbedingt mit dem Klassendümmsten verbringen wollte, hatte ich ganz sicher nichts dagegen. Außerdem waren wir immer noch Nachbarn, und er kam nachmittags weiterhin oft zu mir. Darüber hinaus begannen wir in diesem Frühjahr, gemeinsam Fußball zu spielen, zusammen mit fast allen Kindern in unserer Straße. Das Training war draußen in Hove, und Mutter und Geirs Mutter fuhren uns abwechselnd hin. Als ich anfing, kaufte Mutter mir einen Trainingsanzug. Es war mein erster, und ich hatte mir vorher große Hoffnungen gemacht, mir einen glänzenden blauen von Adidas vorgestellt, wie Yngve ihn besaß, oder, noch besser, einen von Puma oder wenigstens
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