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Spielen: Roman (German Edition)

Spielen: Roman (German Edition)

Titel: Spielen: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl Ove Knausgård
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Zimmertür wurde geöffnet.
    Ich sah augenblicklich, dass Mutter wütend war, und setzte mich auf.
    »Stimmt das, was Yngve sagt?«, fragte sie. »Er sagt, dass du dich über Edmund lustig gemacht hast, weil er nicht lesen kann?«
    Ich nickte.
    »In etwa«, antwortete ich.
    »Begreifst du denn nicht, dass du Edmund traurig gemacht hast? Begreifst du nicht, dass du so nicht über andere Menschen reden darfst?«
    Sie kam ein paar Schritte auf mich zu, bis sie ganz dicht vor mir stand. Ihre Augen waren schmal, ihre Stimme war laut und schneidend. Yngve stand hinter ihr und sah mich an.
    »Karl Ove, begreifst du das?«, fragte sie.
    »Er hat geweint«, warf Yngve ein, »und du hast ihn zum Weinen gebracht. Kapierst du das?«
    Und plötzlich begriff ich es. Was Mutter gesagt hatte, warf eine Art gnadenloses Licht auf das Geschehen. Edmund musste einem leidtun, obwohl er vier Jahre älter war als ich. Er war traurig, und ich hatte ihn traurig gemacht.
    Ich begann zu weinen, wie ich nie zuvor geweint hatte.
    »OOOOOOOOOOOO«, heulte ich. »OOOOOOOOOOOO.«
    Mutter beugte sich über mich und strich mir mit der Hand über die Wange.
    »Entschuldige, Mama«, schluchzte ich. »Ich werde es nie wieder tun. Niemals. Das verspreche ich dir von ganzem Herzen.«
    Dass ich so laut weinte und meine Entschuldigung eher herausschrie, als sie auszusprechen, besänftigte Mutter, Yngve allerdings nicht; bei ihm dauerte es Tage, bis der Vorfall in Vergessenheit geriet. Und das, obwohl Edmund ihm nicht sonderlich wichtig, keiner seiner besten Freunde war, nur jemand, mit dem er zufällig in dieselbe Klasse ging. Ich verstand das in gewisser Weise, in gewisser Weise aber auch nicht.
    Das zweite Mal brachte Mutter mich zum Weinen, als wir eines Abends zu zweit einen Spaziergang machten. Sie wollte etwas in der Fina kaufen und zu Fuß gehen, statt zu fahren, und ich, der ich so gerne mit ihr alleine sein wollte, begleitete sie. Ich nahm die Taschenlampe mit, denn auf dem Weg war es dunkel, aber bevor wir unser Ziel erreichten, leuchtete ich in ein dunkles Fenster eines Hauses, an dem wir vorbeikamen.
    »Hör auf damit!«, fauchte Mutter plötzlich. »Da wohnen doch Leute! Du kannst nicht einfach in die Zimmer der Leute hineinleuchten!«
    Blitzschnell richtete ich den Lichtkegel auf den Erdboden und kämpfte einige Sekunden gegen die Tränen an, ehe ich ihnen nachgeben musste und sie in langen Schluchzern flossen.
    »Hat dich das jetzt so traurig gemacht?«, fragte Mutter und sah mich an. »Weißt du, ich musste dir das einfach sagen. Was du getan hast, war ein bisschen unhöflich.«
    Ich brach nicht in Tränen aus, weil sie mich zurechtgewiesen hatte, sondern weil sie es getan hatte.
    Aber sie wurde wenigstens nicht wütend, weil ich flennte.
    Draußen heulte ich fast nie. Sicher, wenn ich hinfiel, weinte ich natürlich, aber das taten alle, dass einem dann die Tränen in die Augen schossen, ließ sich nicht vermeiden. Wenn sich die anderen Kinder bei uns nicht unbedingt die Klinke in die Hand gaben, um zu mir zu kommen, hing das mit anderen Dingen zusammen, die sich meiner Kontrolle entzogen. Ich stritt mich häufig mit ihnen, vor allem mit Leif Tore, wir waren bei allen Themen unterschiedlicher Meinung, auch in der Frage, wer das Sagen hatte, und obwohl wir uns darin glichen, dass keiner von uns jemals nachgab, war es trotzdem er, mit dem alle spielen wollten, und nicht ich. Solange wir viele waren, zum Beispiel, wenn wir im Fichtenwald Hüttchen bauten oder auf der Wiese Fußball spielten, merkte man nichts davon. Deutlich wurde es erst, wenn wir nur zu dritt oder viert waren. Auch wenn ich mit jemandem zusammen war, der älter war als ich, zum Beispiel Dag Lothar, bildete es kein Problem, dann passte ich mich förmlich an ihn an, folgte all seinen Bewegungen, protestierte nicht und sagte auch nicht, dass sich etwas anders verhielt, was mir ganz natürlich er schien, denn immerhin war er ein Jahr älter als ich. Geir gegenüber bemerkte ich einmal, Dag Lothar bestimme über mich und ich über Geir und Geir über Vemund. Er wurde wütend und erklärte, dass ich nicht über ihn bestimme. Und ob ich das tue!, erwiderte ich daraufhin. Ich bestimme, was wir tun. Aber du bestimmst nicht über mich , sagte Geir. Was spielt das für eine Rolle?, entgegnete ich. Habe ich nicht gesagt, dass Dag Lothar über mich bestimmt? Und dass du über Vemund bestimmst? Dann spielt es ja wohl auch keine Rolle, dass ich über dich bestimme? Aber das tat es

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