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Spielen: Roman (German Edition)

Spielen: Roman (German Edition)

Titel: Spielen: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl Ove Knausgård
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gemeinsam zu Abend.
    »Die Schule ist in Oslo«, erläuterte sie. »Es dauert nur ein Jahr. Ich komme jeden Freitag nach Hause und bleibe das ganze Wochenende. Am Montag fahre ich dann wieder hin. Ich werde also drei Tage hier und vier Tage dort sein.«
    »Heißt das, wir bleiben hier mit Papa allein?«, fragte Yngve.
    »Ja. Das kriegt ihr schon hin. So seht ihr euch ein bisschen mehr als sonst.«
    »Warum gehst du in die Schule?«, fragte ich. »Du bist doch erwachsen?«
    »Es gibt etwas, was man Weiterbildung nennt«, antwortete sie. »Ich werde noch mehr über meinen Beruf lernen. Wisst ihr, das ist sehr interessant für mich.«
    »Ich will nicht, dass du weggehst«, sagte ich.
    »Es geht nur um ein Jahr«, wiederholte sie. »Außerdem werde ich ja an drei Tagen in der Woche hier sein. Und in den Ferien. Ich werde lange Ferien haben.«
    »Ich will es trotzdem nicht«, beharrte ich.
    »Das kann ich verstehen«, sagte Mutter, »aber es wird schon klappen. Papa möchte gerne mehr mit euch zusammen sein. Und nächstes Jahr ist es dann umgekehrt. Dann macht Papa eine Weiterbildung, und ich bin zu Hause.«
    Ich trank den letzten Schluck Tee, öffnete dabei kaum den Mund und ließ die Flüssigkeit nur hereinsickern, damit keins der vielen schwarzen und nassen Teeblätter, die auf dem Boden der Tasse lagen, mit hineintrieb.
    Ich stand halb auf, hob den schweren Teekessel mit beiden Händen zu meiner Tasse und stellte ihn anschließend zurück. Der Tee war fast schwarz, so lange hatte er gezogen. Ich goss reichlich Milch dazu und gab drei große Löffel Zucker hinein.
    »Tee mit Zucker«, sagte Yngve.
    »Ja, und?«, entgegnete ich.
    Im selben Moment hörte man Vaters Schritte auf der Treppe.
    Oh Gott, und ich hatte gerade erst meine Teetasse gefüllt! Jetzt musste ich sitzen bleiben, bis ich sie leergetrunken hatte. Yngve brauchte auf so etwas dagegen keine Rücksicht zu nehmen, stand auf und schob sich aus der Küche.
    Vater ging mit finsteren Bewegungen vorbei, schaltete den Fernseher ein und setzte sich.
    »Möchtest du nichts essen?«, erkundigte sich Mutter.
    »Nein«, antwortete er.
    Ich goss noch etwas Milch dazu, um den Tee abzukühlen, und leerte anschließend in drei langen Schlucken meine Tasse.
    »Danke fürs Essen!«, sagte ich und stand auf.
    »Nichts zu danken«, erwiderte Mutter.
    Es war zwar eine schockierende Neuigkeit, aber als ich hinterher in mein Zimmer ging, stand ich nicht unter Schock, denn es war April, und die Schule würde erst im August anfangen. Bis dahin waren es also noch vier Monate, und in der Kindheit sind vier Monate eine Ewigkeit. Mutters Weiterbildung war in der gleichen, vagen Weise Teil der Zukunft wie die Gesamtschule, die Konfirmation oder der achtzehnte Geburtstag. Wir waren in der Mitte der Kindheit, und in ihr war die Zeit aufgehoben. Das heißt, die Augenblicke rasten in einem wüsten Tempo dahin, während die Tage, die sie enthielten, fast unmerklich voranschritten. Selbst als der letzte Schultag gekommen war und wir keine Drittklässler mehr waren, dachte ich nicht daran, dass sie bald fort sein würde. Lagen etwa nicht die ganzen langen Sommerferien dazwischen? Erst als sie begann, im Schlafzimmer ihre Kleider herauszulegen, und der Koffer geöffnet auf dem Fußboden lag, begriff ich es. Gleichzeitig passierte so viel anderes, am nächsten Tag sollte die Schule wieder anfangen, in der wir, als Viertklässler, definitiv zu den ältesten Kindern gehören würden. Wir sollten ein neues Klassenzimmer und, wichtiger noch, eine neue Klassenlehrerin bekommen. In meinem Zimmer stand ein neuer Ranzen, im Schrank hingen neue Kleider. Bei dem Gedanken an all diese Dinge kribbelte es in meinem Bauch, und obwohl ich traurig wurde, als ich ihr beim Packen zusah, war ich nicht viel trauriger als sonst, wenn sie zur Arbeit fuhr.
    Sie hielt inne und schaute zu mir hinüber.
    »Am Donnerstag bin ich schon wieder zu Hause«, sagte sie. »Es sind nur vier Tage.«
    »Das weiß ich«, erwiderte ich. »Hast du an alles gedacht?«
    »Weißt du was, ich denke schon«, sagte sie. »Magst du mir mit dem Koffer helfen? Kannst du dich da am Rand auf ihn knien, damit ich ihn zubekomme?«
    Ich nickte und tat, worum sie mich gebeten hatte.
    Vater kam die Treppe herauf.
    »Und, bist du fertig?«, fragte er und nickte zum Koffer hin. »Den nehme ich.«
    Mutter umarmte mich und ging hinter ihm die Treppe hinunter.
    Ich beobachtete sie vom Badezimmerfenster aus. Als sie sich in den grünen Käfer setzte, war

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