Spielen: Roman (German Edition)
die mein Bewusstsein streifte und genauso schnell wieder verschwand, wie sie gekommen war.
Geir öffnete die Tür und trat ein.
Ich folgte ihm.
»Haben wir es sehr eilig?«, fragte ich.
»Ja«, antwortete er. »Der Bus geht in elf Minuten.«
Im Hinterzimmer legte die Verkäuferin ihre Zeitung weg, kam in den Verkaufsraum und stellte sich mit desinteressierter, vielleicht auch leicht verächtlicher Miene hinter die Ladentheke. Sie war alt und eklig; aus einem Muttermal an ihrem Kinn sprossen drei lange, graue Haare.
Pfeifen und Pfeifenreiniger, Zigarettenpapier und Rollboxen, Tabakbeutel, Zigarettenschachteln, Zigarrenkisten und Kautabakdosen in verschiedenen Formen und Farben nahmen eine ganze Wand ein, alle mit unterschiedlichen Beschriftungen und kleinen, stilisierten Bildern von Hunden, Füchsen, Pferden, Segelschiffen, Rennwagen, lächelnden Negern, rauchenden Seemännern, lässig hingeworfenen Frauen. Das Regal mit Süßigkeiten, das wir nun beide anstarrten, bedeckte die gesamte zweite Wand. Im Gegensatz zu den Tabakprodukten waren die Süßigkeiten nicht verpackt; die Schokoladen, Drops und Weingummis lagen in ihren durchsichtigen Plastikschütten und repräsentierten sich selbst, ohne ein Bild zwischen sich und uns: Wir bekamen, was wir sahen. Schwarzes schmeckte salzig oder nach Lakritz, Gelbes nach Zitrone, Oranges nach Apfelsine, Rotes nach Erdbeere, Braunes nach Schokolade. Die kleinen, quadratischen Schokoladenstücke mit fester Oberfläche, die »Rekruten« genannt wurden, waren, wie die Form versprach, mit hartem Karamell gefüllt; die herzförmigen Schokoladen waren dagegen mit einer weichen Geleemasse gefüllt, die nach Aprikose schmeckte, auch dies, wie es nicht anders zu erwarten war. Der Farbcode galt, abgesehen von wenigen Abweichungen, die wir an diesen Abenden zu ergründen suchten, gleichermaßen für Drops und Weingummis. Einzelne schwarze Drops konnten dunkelgrün schmecken, während einzelne dunkelgrüne Drops in einer halspastillenartigen, eukalyptischen Weise grün schmeckten – also heller – und nicht süßigkeitengrün, wie man angesichts ihrer Farbe angenommen hätte. Und dann gab es diese schwarzen Drops, die tatsächlich wie »Kongen av Danmark« schmeckten, also bräunlich orange. Seltsamerweise war es niemals umgekehrt, es gab keine bräunlich-orangen »Kon gen av Danmark«-Drops, die schwarz schmeckten, ebenso wenig hatten wir eukalyptusgrüne Drops gefunden, die süßigkeitengrün oder schwarz schmeckten.
»Und, was willst du haben?«, fragte die Verkäuferin.
Geir hatte das Geld, das er ausgeben wollte, auf die Glastheke gelegt und beugte sich vor, um die Auswahl der verschiedenen Süßigkeiten besser studieren zu können. Es verwirrte ihn ganz offensichtlich, dass wir so unter Zeitdruck standen.
»Ähhh…«, sagte er.
»Beeil dich!«, bedrängte ich ihn.
Daraufhin strömte es plötzlich aus ihm heraus.
»Drei von denen, drei von denen und drei von denen, und dann noch vier von denen und eins von denen und eins von denen«, sagte er und zeigte gleichzeitig auf die verschiedenen Schütten.
»Drei von …?«, fragte die Verkäuferin, öffnete eine leere Papiertüte und drehte sich zu dem Ständer um.
»Von den grünen Drops. Oder nein, vier. Und dann drei von den roten und weißen. Diesen Zuckerstangendingern … und dann fünf Schnuller …«
Als wir mit unseren kleinen Tüten in den Händen herauskamen, blieben uns noch ganze vier Minuten, bis der Bus fuhr. Trotzdem konnten wir es noch schaffen, sagten wir uns und liefen die Treppe hinunter. Die Stufen waren von glattgeschliffenem Schnee bedeckt und sehr rutschig, so dass wir uns am Geländer festhalten mussten, was allerdings mit dem von uns angestrebten Tempo unvereinbar war. Unter uns lag die Stadt, die weißen Straßen, die im Licht der Straßenlaternen fast gelb wirkten, und der Busbahnhof, an dem die Busse bei Ankunft und Abfahrt wie Schlitten über den Schnee glitten, die große Kirche mit ihren roten Backsteinen und der grünen Kirchturmspitze. Über allem wölbte sich, übersät mit funkelnden Sternen, der schwarze Himmel. Als nur noch zehn oder fünfzehn Stufen vor uns lagen, nahm Geir die Hand vom Geländer und rannte los, verlor aber schon nach zwei Schritten die Kontrolle, so dass seine einzige Chance, das Gleichgewicht zu wahren, darin bestand, möglichst schnell abwärtszulaufen. Rasend schnell schoss er nach unten, änderte dann jedoch seine Taktik und versuchte stattdessen zu rutschen, aber
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