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Spielen: Roman (German Edition)

Spielen: Roman (German Edition)

Titel: Spielen: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl Ove Knausgård
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Stig. Als er uns sah, erhellte sich seine Miene, und er kam zu uns.
    »Hallo«, grüßte er.
    »Hallo«, sagte Geir.
    »Hallo«, sagte ich.
    »Habt ihr den Bus verpasst?«, fragte er und setzte sich neben uns.
    Geir schüttelte den Kopf.
    »Möchtest du was?«, sagte er und hielt Stig seine Tüte hin. Stig grinste und zog einen Schnuller heraus. Jetzt musste ich ihm auch etwas anbieten. Warum in aller Welt hatte Geir das nur getan? Wir hatten doch nun wirklich nicht viel.
    Stig ging in die Klasse über uns und fuhr dreimal in der Woche zum Turnen in die Stadt. Er trat bei nationalen Turnwettkämpfen an, war aber nicht hochnäsig wie Snorre, der bei nationalen Schwimmmeisterschaften an den Start ging und nichts mit uns zu tun haben wollte. Stig war nett, ja sogar einer der nettesten Menschen, die ich kannte. Als der Bus kam, setzte er sich auf den Sitz vor Geir und mir. Ungefähr am Ende der Uferstraße verebbte unser Gespräch, woraufhin er sich nach vorn drehte und die restliche Strecke so sitzen blieb. Auch Geir und ich schwiegen, und der Gedanke an die fehlende Socke kehrte mit neuer Kraft zurück.
    Nein, oh nein.
    Was würde passieren?
    Was würde passieren ?
    Oh nein, oh nein, oh nein.
    Nein, nein, nein!
    Dass wir eine halbe Stunde später nach Hause kamen, würde womöglich seine Aufmerksamkeit auf mich lenken. Vielleicht wartete er schon auf mich. Andererseits war durchaus denkbar, dass er das nicht tat und mit anderen Dingen beschäftigt war, und dann würde ich in Sicherheit sein; wenn es mir glückte, unbemerkt vom Flur in den Heizungskeller zu gelangen, würde alles gut werden, denn dort hingen die anderen Socken, die ich stattdessen anziehen konnte.
    Der Bus fuhr auf die Brücke, und der Wind schlug gegen die Karosserie. Die Scheiben bebten. Geir, der immer als Erster ziehen wollte, streckte die Hand aus und griff schon nach der Schnur, obwohl wir die Einzigen waren, die hier aussteigen wollten. Die Bushaltestelle lag ganz unten am Fuß des Anstiegs, und ich bekam immer ein schlechtes Gewissen, wenn ich dort ausstieg, weil der Bus dann noch einmal von vorn anfangen musste und seine alte Geschwindigkeit erst wieder erreichte, wenn er ein paar hundert Meter weiter über die Hügelkuppe fuhr. Manchmal wurde dieses Gefühl so stark, dass ich erst bei der nächsten Haltestelle oben am B-Max ausstieg, vor allem, wenn ich alleine war. Selbst jetzt, während der Gedanke an die Socke in meinem Bewusstsein brannte, verspürte ich einen kleinen Stich, als Geir an der Schnur zog und der Bus ärgerlich abbremste, um uns abzusetzen.
    Wir standen vor dem Schneewall und warteten, bis er wieder angefahren war. Stig hob grüßend die Hand. Dann über querten wir die Straße und gingen den Weg zur Siedlung hinauf.
    Normalerweise trat ich meine Stiefel immer ein paar Mal auf dem Absatz vor der Haustür ab und fegte anschließend die Hosenbeine mit dem Besen ab, der zu diesem Zweck an der Wand lehnte. Diesmal verzichtete ich jedoch auf die Tritte, da er sie würde hören können, bürstete nur oberflächlich meine Hose ab, öffnete behutsam die Tür, schob mich hindurch und schloss sie wieder hinter mir.
    Das reichte jedoch schon aus. Ich hörte, wie die Tür seines Arbeitszimmers und danach die Tür zum Flur geöffnet wurde.
    Er stand vor mir.
    »Du kommst zu spät«, sagte er.
    »Ja, tut mir leid«, erwiderte ich. »Aber Geir ist auf dem Weg zum Bus hingefallen und hat sich wehgetan, und deshalb haben wir ihn knapp verpasst.«
    Ich begann den Stiefel aufzuschnüren, in dem ich die verbliebene Socke trug.
    Er machte keine Anstalten, wieder zu gehen.
    Ich zog ihn vom Fuß und stellte ihn an die Wand.
    Schaute zu ihm hoch.
    »Was ist?«, fragte er.
    »Ach, nichts«, antwortete ich.
    Mein Herz hämmerte. Aufzustehen und mit einem Stiefel durch den Flur zu gehen, kam natürlich nicht in Frage. Regungslos stehen zu bleiben und darauf zu warten, dass er gehen würde, kam natürlich ebenso wenig in Frage, denn er würde nicht gehen.
    Langsam schnürte ich den Schuh auf. Dabei kam mir eine Idee, und ich nahm den Schal ab und legte ihn neben den Stiefel. Als der Schnürsenkel aufgezogen war und ich ihn abzustreifen begann, griff ich gleichzeitig nach dem Schal und versuchte den nackten Fuß kurzzeitig mit ihm zu bedecken.
    So, den Schal halb auf dem nackten Fuß drapiert, richtete ich mich auf.
    »Wo ist deine Socke?«, fragte Vater.
    Ich blickte auf meinen Fuß herab, warf einen kurzen Blick zu ihm hoch.
    »Ich konnte sie nicht

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