Spielen: Roman (German Edition)
Tyholmen erreichten, wo der Regen hartnäckig und stetig herabrieselte, stellte sich heraus, dass wir Seite an Seite mit einer Klasse der Gesamtschule Roligheden gehen würden. Mit einigen von ihnen spielte ich Fußball, viele Gesichter hatte ich dagegen nie zuvor gesehen.
Ein Mädchen drehte sich zu mir um.
Sie hatte blonde, gewellte Haare, große blaue Augen und lächelte mich an. Ich lächelte nicht, aber sie sah mich trotzdem noch einen Moment an und drehte sich dann wieder nach vorn.
Der Zug setzte sich in Bewegung. Irgendwo weit vor uns spielte eine Musikkapelle. Einer unserer Lehrer begann zu singen, wir sangen mit. Nachdem wir etwa zwanzig Minuten marschiert waren, verloren viele, vor allem unter den Jungen, allmählich die Geduld, wir begannen zu lachen und zu scherzen, und als jemand die Röcke der Mädchen mit seinem Fähnchen anhob und das Schule machte, war es das blonde Mädchen, dem ich mich zusammen mit Dag Magne näherte, zum Glück, denn so war ich ein Teil von etwas und nicht nur ich selbst. Ich schob die Fahne unter die Falte ihres Rocks und hob ihn an, sie drehte sich jäh herum, hielt ihn mit der einen Hand unten und rief Hör auf, hör auf . Doch die Augen, mit denen sie mich ansah, lächelten.
Ich wiederholte es noch bei ein paar anderen, bis es nicht mehr so verdächtig wirken würde, wenn ich mich erneut ihr zuwandte.
»Lass das!«, sagte sie diesmal und lief ein paar Schritte nach vorn. »Sei nicht so kindisch!«
War sie wirklich wütend?
Es vergingen ein paar Sekunden, dann wandte sie sich um und lächelte, nur kurz zwar, aber es reichte völlig, sie war nicht wütend, sie fand mich nicht kindisch.
Aber hatte sie nicht in einem südostnorwegischen Dialekt gesprochen?
Kam sie etwa gar nicht von hier? War sie nur zu Besuch?
Dann würde ich sie nie mehr wiedersehen.
Aber nein. Keine Sorge. Niemand, der zu Besuch war, ging im Schulumzug mit!
Plötzlich fiel mir das Fähnchen wieder ein, das ich in der Hand hielt, und ich hob es an. Am letzten 17. Mai hatte Vater sich darüber aufgeregt, dass ich das Fähnchen über den Boden hatte schleifen lassen, als ich an ihnen vorbeigegangen war.
Dag Magne hatte sein breitestes Lächeln aufgesetzt. Ein Blitzlicht leuchtete auf. Seine Eltern standen in der vordersten Reihe. Sie sahen ganz anders aus als sonst, die Sonntagskleider wirkten fremd an ihnen.
Ich sah wieder das Mädchen an.
Sie war recht klein und trug eine hellrosa Jacke, einen hellblauen Rock und dünne weiße Strümpfe. Die blonden Haare waren gewellt, die Nase war klein, der Mund groß, und in ihrem Kinn gab es eine kleine Spalte.
Ich hatte Bauchweh.
Als sie sich umgedreht hatte, um zu verhindern, dass ihr Rock hochgehoben wurde, hatte ich gesehen, dass sie große Brüste hatte, denn ihre Jacke stand offen, und der weiße Pullover darunter war dünn.
Oh, lieber Gott, mach bitte, dass ich mit ihr gehe.
»Hallo, Karl Ove!«, rief plötzlich Mutter von irgendwoher. Ich schaute mich um. Da, auf der anderen Straßenseite vor dem Hotel Phønix, standen sie. Mutter winkte und hob den Fotoapparat ans Auge, Vater nickte mir zu.
Als wir auf dem Weg zurück ins Stadtzentrum waren, wandte sie sich um und sah mich noch einmal an. Unmittelbar darauf löste sich der Zug auf, und sie verschwand in der Menschenmenge.
Ich wusste nicht einmal, wie sie hieß.
Nach dem Schulumzug in der Stadt fuhren alle in die Siedlung zurück, wo man sich umzog und aß, vielleicht auch die Fernsehübertragungen der Kinderumzüge im ganzen Land verfolgte, bis sich alle wieder in die Autos setzten, nun jedoch etwas legerer gekleidet, und nach Hove hinausfuhren, wo die Feierlichkeiten auf den Wiesen ihren Höhepunkt erreichten. Dort standen Buden, in denen Wurst, Eis und Limonade verkauft wurde, Buden, an denen man Lose ziehen konnte, es gab organisierte Spiele und ein unglaubliches Gewimmel von Kindern, in deren Taschen Zehnkronenscheine brannten und die mal hierhin liefen und eine Wurst kauften, mal dorthin, um beim Sackhüpfen mitzumachen, mit Ketchup auf den Ärmeln und Eisspuren um den Mund und einer Flasche Coca-Cola mit Strohhalm in der Hand. Wir waren dem Treiben noch nicht ganz entwachsen, aber das Tempo, in dem wir alles machten, war im Vergleich zum Vorjahr möglicherweise etwas niedriger. Ich selbst schaute mich den ganzen Nachmittag nach dem Mädchen aus dem Umzug um, jedes Mal, wenn eine rosa Jacke oder ein blauer Rock auftauchte, blieb mein Herz fast stehen, aber sie war es nie, sie war nicht
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