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Spielen: Roman (German Edition)

Spielen: Roman (German Edition)

Titel: Spielen: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl Ove Knausgård
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zwitschernder Vögel. Der Pfad, der aus hartgetrampelter Erde und vereinzelten nackten Felsplatten bestand, wurde an mehreren Stellen von dicken, urzeittierartigen Wurzeln gekreuzt. Das Gras, das am Bachlauf wuchs, war üppig und dicht, im Unterholz dahinter lagen umgestürzte Bäume mit glatten Stämmen und vielen Pflanzen zwischen den trockenen, toten Ästen. Sie lagen dort schon so lange, wie ich denken konnte, und dahinter erhob sich wiederum eine Bergkuppe mit Baumstümpfen zwischen langen Gräsern und jungen Bäumen, die in die Höhe geschossen waren. Wenn man diese ersten hundert Meter des Pfads ging, konnte man sich der Vorstellung hingeben, dass dieser Wald tief, ja, unendlich tief und voller Mysterien sei. Dass man im Herbst und Winter zwischen den Ästen vage die lange Steinböschung erkennen konnte, die von der Straße abfiel, die um die Siedlung herumführte, und dann auch schemenhaft das orange Dach eines Hauses auftauchte, ließ sich mühelos verdrängen. Das Problem besteht ja weniger darin, dass die Welt der Fantasie Grenzen setzt, sondern vielmehr darin, dass die Fantasie der Welt Grenzen setzt. Aber diesmal war ich nicht unterwegs, um zu spielen, sondern um mich mit etwas zu umgeben, was ich mochte, und um weiter dem Gefühl von Freiheit zu huldigen, das Kajsas Blick mir geschenkt hatte.
    Kajsa, sie hieß Kajsa!
    Das Fahrrad holpernd neben mir herschiebend, stapfte ich die Hügel hoch, gelangte zu dem flacheren Abschnitt des Wegs und setzte mich wieder auf den Sattel, als ich direkt unterhalb des Gemeindezentrums auf die Straße stieß. Vor Ketils Haus wimmelte es auf der Straße von Fußball spielenden Kindern. Sein Vater saß auf einem Campingstuhl auf der Terrasse, sein Bauch wölbte sich aus einem offenen, kurzärmeligen Hemd. Wenige Schritte von ihm entfernt stieg von einem Grill Rauch auf.
    Oh, dieser Geruch!
    Auf der anderen Straßenseite stand Tom und wusch sein Auto. Er trug eine große Pilotenbrille und Jeansshorts mit langen Fransen am Oberschenkel, sonst nichts. Die Musik, die aus den offen stehenden Türen strömte, die das Auto wie ein kleines, plumpes Flugzeug aussehen ließen, kannte ich, es war Dr. Hook. Dann erreichte ich die Anhöhe und sah weit draußen hinter den grünen Bäumen den blauen Sund und die weißen Gastanks am anderen Ufer. Als ich abwärtsfuhr, presste mir der Fahrtwind Tränen in die Augen. Auf der Straße vor unserem Haus spielte eine weitere Gruppe von Kindern Fußball. Der kleine Bruder von Marianne, der kleine Bruder von Geir Håkon, der kleine Bruder von Bente und der kleine Bruder von Jan Atle. Sie grüßten mich, aber ich erwiderte ihren Gruß nicht, sondern sprang vom Fahrrad und schob es in unsere Einfahrt, in der zwei Autos standen. Es waren Anne Mais großer Citroën und Dagnys Ente. Ich hatte vergessen, dass sie kommen wollten, und als ich die Wagen sah, durchlief mich ein kurzer, freudiger Schauer.
    Als ich nach oben kam, saßen sie mit Mutter im Wohnzimmer. Sie hatte einen Kuchen gebacken, von dem ungefähr ein Drittel übrig war, und Kaffee gekocht. Nun saßen die drei Frauen in ihrer Zigarettenrauchwolke und unterhielten sich. Ich grüßte sie, sie fragten mich, wie es mir gehe, ich antwortete, es gehe mir gut und dass ich beim Fußballtraining gewesen sei, sie wollten wissen, ob die Ferien begonnen hätten, ich antwortete ja und dass ich darüber sehr froh sei. Anne Mai zog eine Tüte M&M’s heraus.
    »Oder bist du dafür etwa schon zu alt?«
    »Für M&M’s doch nicht«, erwiderte ich. »Dafür werde ich bestimmt nie zu alt sein.«
    Ich nahm sie, drehte mich um und wollte in die Küche gehen, als Anne Mai sagte:
    »Was um Himmels willen steht denn da auf deinem Rücken? Trauma?«
    Sie lachte.
    »Seine Fußballmannschaft heißt Trauma«, erläuterte Mutter.
    »Trauma!«, rief Dagny. Jetzt lachten sie alle drei.
    »Was ist daran denn so komisch?«, fragte ich.
    »Das ist doch unser Job, verstehst du? Wenn etwas Schreckliches passiert, kann man ein Trauma erleiden. Es ist irgendwie lustig, das Wort auf deinem Rücken zu sehen.«
    »Ach so«, sagte ich. »Aber das bedeutet es hier nicht. Der Name kommt von Thruma, das ist der alte Name für Tromøya. Aus der Wikingerzeit.«
    Als ich in mein Zimmer kam, lachten sie immer noch. Ich ließ eine Kassette von The Specials laufen und legte mich aufs Bett, um zu lesen, während die letzten Sonnenstrahlen die Wand auf der anderen Seite des Bett beschienen und aus der Siedlung draußen allmählich die

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