Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Spielen: Roman (German Edition)

Spielen: Roman (German Edition)

Titel: Spielen: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl Ove Knausgård
Vom Netzwerk:
abzog, denn sobald ich den Hebel neben der Toilette herunterdrückte, musste ich so schnell wie möglich den Raum verlassen, weil das Rauschen des Wasserbehälters so mächtig und unheimlich war, dass ich nicht im selben Raum sein konnte wie dieses Geräusch. Sekundenlang blieb ich, die Hand um die kleine schwarze Kugel gelegt, stehen. Dann drückte ich sie herunter, eilte in den Flur hinaus, der auch unheimlich war, weil sich dort jedes kleinste Ding lautlos selbst »aussandte«, und nahm die Treppe in Angriff, auf der ich selbstverständlich nicht laufen konnte, und hatte dabei das vage Gefühl, dass mich irgendetwas da unten verfolgte, bis ich schließlich die Küche betrat und die Gegenwart der anderen die Empfindung verscheuchte.
    In der Gasse draußen war der Strom der Menschen, die aus der Stadt kommend unterwegs zum Stadion waren, beständig größer geworden, und bald darauf machten sich auch Vater, Mutter und Yngve fertig. Großvater fuhr stets mit dem Fahrrad und brach deshalb etwas später auf als die anderen. Er trug einen grauen Mantel, einen rostroten Schal, eine graue Schiebermütze und schwarze Handschuhe, wie ich vom Fenster aus sah, als er sein Fahrrad die Auffahrt hinunterschob. Großmutter holte ein paar Teilchen aus dem Gefrierfach, die wir essen wollten, wenn die anderen zurückkamen, und legte sie auf die Arbeitsfläche.
    Sie sah mich verschmitzt lächelnd an.
    »Ich habe etwas für dich«, sagte sie.
    »Was denn?«, fragte ich.
    »Wart’s ab«, sagte sie. »Halt dir die Augen zu!«
    Ich hielt mir die Augen zu und hörte, dass sie erst in einer Schublade wühlte und dann vor mir stehen blieb.
    »Jetzt darfst du gucken!«, sagte sie.
    Es war eine Tafel Schokolade. Eine von diesen seltenen dreieckigen, die so gut schmeckten.
    »Ist die für mich?«, fragte ich. »Die ganze?«
    »Ja«, antwortete sie.
    »Bekommt Yngve nichts?«
    »Nein, diesmal nicht. Er darf dafür ja mit zum Spiel gehen. Du musst doch auch ein bisschen Spaß haben!«
    »Vielen Dank«, sagte ich und riss die Pappverpackung ab, so dass der in Folie eingeschlagene Klotz auftauchte.
    »Aber erzähl Yngve nichts davon«, sagte sie und zwinkerte mir zu. »Das bleibt unser kleines Geheimnis.«
    Ich verdrückte die Schokolade, während sie ein Kreuzworträtsel löste.
    »Wir bekommen bald ein Telefon«, erzählte ich.
    »Ach wirklich?«, sagte sie. »Dann können wir uns ja demnächst am Telefon unterhalten.«
    »Ja«, sagte ich. »Wir stehen eigentlich weit hinten auf der Warteliste, bekommen aber trotzdem eins, weil Papa in der Politik ist.«
    Sie lachte.
    »So, so, in der Politik«, meinte sie.
    »Ja?«, sagte ich fragend. »Ist er das nicht?«
    »Doch, das ist er. Natürlich ist er das. Und, was sagst du, gehst du gern in die Schule?«, fragte sie.
    Ich nickte.
    »Ja, sehr gerne.«
    »Und was gefällt dir am besten?«
    »Die Pausen«, antwortete ich, denn ich wusste, das würde sie zum Lachen bringen oder wenigstens lächeln lassen.
    Als ich die Schokolade aufgegessen und sie sich wieder in ihr Kreuzworträtsel vertieft hatte, ging ich auf den Dachboden hinauf und holte ein paar Spielzeuge herunter.
    Nach einer Weile schaute sie zu mir herüber und fragte mich, ob wir auch zum Spiel gehen sollten. Das wollte ich gern. Wir zogen unsere Jacken an, sie holte ihr Fahrrad aus der Garage, ich setzte mich auf den Gepäckträger, sie setzte sich auf den Sattel, stützte sich jedoch mit einem Fuß auf der Erde ab und drehte sich zu mir um.
    »Bist du bereit?«, fragte sie.
    »Ja«, sagte ich.
    »Dann halt dich fest, jetzt fahren wir los!«
    Ich legte die Arme um sie, und sie gab dem Fahrrad mit dem Fuß ein wenig Schwung, setzte ihn dann auf die Pedale und ließ sich den kleinen Hang hinabrollen, bog rechts ab und trat in die Pedale.
    »Sitzt du gut?«, erkundigte sie sich, und ich nickte, bis mir einfiel, dass sie mich ja nicht sehen konnte:
    »Ja, ich sitze sehr gut.«
    Das stimmte. Es war schön, sie zu umarmen, und es machte Spaß, mit ihr Fahrrad zu fahren. Großmutter war die Einzige, die Yngve und mich anfasste, die Einzige, die uns in den Arm nahm und mit der Hand über unsere Arme strich. Sie war auch die Einzige, die mit uns spielte. Vater tat es manchmal an Weihnachten, aber dann spielten wir immer etwas, was ihm Spaß machte, zum Beispiel Master Mind oder Schach oder Halma oder Yatzy oder Mau-Mau oder Poker mit Streichhölzern. Mutter machte auch mit, wenn wir spielten, aber mit ihr zusammen bastelten wir vor allem, entweder zu

Weitere Kostenlose Bücher