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Spielen: Roman (German Edition)

Spielen: Roman (German Edition)

Titel: Spielen: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl Ove Knausgård
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Hause am Küchentisch oder in der Werkstatt im Sanatorium Kokkeplassen, und das machte auch Spaß, war aber nicht dasselbe wie mit Großmutter, die bei unseren Spielen gerne mitmachen wollte und interessiert zusah, wenn Yngve ihr etwas aus seinem Chemiebaukasten zeigte, oder mir half, wenn ich ein Puzzle legte.
    Die Räder drehten sich immer langsamer, bis sie fast standen und Großmutter abstieg, um das Rad bis zur Kuppe des Anstiegs zu schieben.
    »Wenn du willst, kannst du sitzen bleiben«, meinte sie.
    Ich saß da und ließ den Blick über die Stadt schweifen, während Großmutter das Rad schob und dabei ein wenig außer Atem geriet.
    Als wir den höchsten Punkt erreichten und sie wieder auf dem Sattel Platz nahm, folgte eine sanft abfallende Gerade, die bis zum Stadion hinunterführte. Von dort schallte uns plötzlich ein lautes Stöhnen wie von einem riesigen Tier entgegen, gefolgt von Applaus. Es gab nur wenige Geräusche, die so erregend waren. Großmutter radelte zur einen Querseite, stellte das Fahrrad am Bretterzaun ab und ließ mich ein paar Minuten auf dem Gepäckträger stehen, wobei sie mich festhielt, so dass ich den Platz und alles, was auf ihm geschah, verfolgen konnte. Das Spielfeld lag weit entfernt, so dass mir abgesehen von den gelben und weißen Trikots vor dem grünen Rasen und der ganzen schwarzen und wogenden Menschenmenge ringsum sämtliche Details entgingen, aber die Stimmung bekam ich mit, sie saugte ich auf, sie würde ich in den folgenden Tagen in meinem Inneren bewahren.
    Als wir ins Haus zurückgekehrt waren, begann sie, die Mahlzeit vorzubereiten, die wir vor unserer Abfahrt zu uns nehmen sollten, und es dauerte nicht lange, bis im Erdgeschoss die Tür zum Flur aufging. Es war Großvater, der ein finsteres Gesicht machte. Als sie ihn sah, sagte Großmutter: »Sie haben verloren?«
    Er nickte und setzte sich auf seinen Platz, sie goss ihm eine Tasse Kaffee ein. Es erschloss sich mir niemals wirklich, wie das Kräfteverhältnis zwischen Großmutter und Großvater war. Einerseits bediente sie ihn die ganze Zeit, bereitete alle Mahlzeiten zu, spülte immer und erledigte die gesamte Hausarbeit, als wäre sie sein Hausmädchen, andererseits war sie häufig wütend auf ihn oder ärgerte sich über ihn, und dann stand sie vor ihm und schimpfte oder machte sich scharfzüngig und nicht selten höhnisch über ihn lustig, während er kaum etwas entgegnete, sich nicht verteidigte. Weil er das nicht nötig hatte? Weil nichts von all dem, was sie sagte, an etwas Wichtiges rührte? Oder weil er nicht konnte? Wenn Yngve und ich bei diesen Streitereien anwesend waren, zwinkerte Großmutter uns manchmal zu, als wollte sie uns sagen, dass ihre Worte nicht so ernst gemeint seien, oder sie benutzte uns als Teil ihrer Hetze gegen ihn, zum Beispiel, wenn sie verkündete: »Großvater kann nicht einmal eine Glühbirne richtig einsetzen«, wogegen Großvater uns manchmal ansah, lächelte und den Kopf über Großmutter schüttelte. Eine andere Form von Nähe als diese verbale oder jene, die sich zeigte, wenn sie ihn bediente, sah ich zwischen den beiden nie.
    »Sie haben verloren?«, fragte sie noch einmal, als Mutter, Vater und Yngve zehn Minuten später die Treppe heraufkamen.
    »Allerdings. Aber ewig besitzt man nur das Verlorene, wie Ibsen sagt«, antwortete Vater. »Oder was meinst du, Vater?«
    Großvater brummte etwas Unverständliches.
    Als wir an jenem Abend heimfuhren, nahmen wir eine Tragetasche voller Pflaumen, eine weitere mit Birnen und eine Tüte mit Rosinenweckchen mit. Großvater verabschiedete sich oben von uns, da er nur ungern von seinem Stuhl aufstand, während Großmutter, die uns nach unten begleitete, uns lange umarmte, auf die Eingangstreppe hinaustrat und uns hinterherwinkte, bis sie uns nicht mehr sehen konnte.
    Seltsamerweise verging die Rückfahrt immer schneller als die Hinfahrt. Ich liebte es, im Dunkeln zu fahren, mit dem beleuchteten Armaturenbrett, den gedämpften Stimmen auf den Sitzen vor uns, dem Licht der Straßenlaternen, unter denen wir hindurchfuhren, das über uns hinwegschwappte wie Wellen oder Brandung aus Licht, ich liebte die langen, vollkommen dunklen Streckenabschnitte, auf denen alles, was man sah, alles, was es gab, der Asphalt im Licht der Autoscheinwerfer, Teile der Landschaft waren, die in den Kurven beleuchtet wurden. Plötzliche Baumwipfel, plötzliche Felsvorsprünge, plötzliche Meeresbuchten. Außerdem war es immer eine ganz eigene Freude, im Dunkeln in

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