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Spielen: Roman (German Edition)

Spielen: Roman (German Edition)

Titel: Spielen: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl Ove Knausgård
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irgendwelchen Verwandten.«
    »Und warum?«
    »Gustavsen ist betrunken. Hast du nicht gehört, wie er ihnen eben hinterhergeschrien hat?«
    Ich schüttelte den Kopf.
    »Ich habe schon geschlafen. War Leif Tore auch dabei? Und Rolf?«
    Yngve nickte.
    »Wow«, sagte ich.
    »Papa kommt bestimmt wieder hoch«, meinte Yngve. »Am besten gehst du wieder in dein Zimmer und legst dich hin. Ich leg mich jetzt auch ins Bett.«
    »Okay. Gute Nacht.«
    »Gute Nacht.«
    Als ich in mein Zimmer kam, zog ich den Vorhang zur Seite und schaute zu Gustavsens Haus hinüber, konnte aber nichts Ungewöhnliches entdecken. Draußen jedenfalls war alles still.
    Herr Gustavsen war auch früher schon betrunken gewesen, das wussten alle. Eines Abends im Frühjahr hatte sich das Gerücht verbreitet, er sei betrunken, und drei oder vier von uns hatten sich in ihren Garten geschlichen, vor das Wohnzimmerfenster gestellt und hineingeschaut. Aber es hatte nichts zu sehen gegeben. Er hatte nur still auf der Couch gesessen und vor sich hin gestiert. Bei anderen Gelegenheiten hatten wir gehört, wie er brüllte und schrie, sowohl durch die offenen Fenster als auch auf dem Rasen. Leif Tore lachte darüber nur. Aber war es diesmal vielleicht anders? Vor ihm weggelaufen waren sie jedenfalls bisher noch nie.

Als ich das nächste Mal aufwachte, war es Morgen. Ich hörte, dass jemand im Bad war, wahrscheinlich Yngve, und von der Straße, unterhalb der drei Meter hohen Mauer, die an Gustavsens Grundstück entlangführte und die waagerechte Rasenfläche oben hielt, schallte das Knattern von Mutters Auto zu mir herauf. Sie musste an diesem Tag früh zur Arbeit. Yngve schloss die Badezimmertür, ging zunächst in sein Zimmer und unmittelbar darauf die Treppe hinunter.
    Das Fahrrad!
    Wo war sein Fahrrad!
    Ich hatte völlig vergessen, ihn danach zu fragen.
    Jedenfalls musste das der Grund dafür sein, dass er so früh aufbrach; er konnte nicht mit dem Fahrrad fahren, musste stattdessen zu Fuß zur Schule gehen.
    Ich stand auf, nahm meine Kleidung mit ins Bad, wusch mich in dem Wasser, das er auch an diesem Tag nicht vergessen hatte, stehen zu lassen, zog mich an und ging in die Küche, wo Vater drei Scheiben Brot bestrichen und an meinem Platz auf einen Teller gelegt hatte. Hinzu kam ein Glas Milch. Der Milchkarton, das Brot und den Belag hatte er schon wieder weggeräumt. Er selbst saß im Wohnzimmer, hörte Radio und rauchte.
    Draußen regnete es. Es war ein gleichmäßig herabströmender Regen, der ab und zu von einem Windstoß hochgerissen wurde und mit einem Laut wie von kleinen, trommelnden Fingern gegen die Fenster schlug.
    Der Montag war der einzige Tag, an dem niemand zu Hause war, wenn ich von der Schule kam. Deshalb hatte ich einen eigenen Schlüssel bekommen, den ich an einer Schnur um den Hals trug. Es gab jedoch ein Problem mit diesem Schlüssel, er funktionierte bei mir nicht. Am ersten Montag, als es geregnet hatte und ich in Stiefeln und Regenjacke über den Kies lief, den Schlüssel fest gepackt und stolz und froh über die bevorstehende Situation, gelang es mir zwar, den Schlüssel ins Schloss zu stecken, aber nicht, ihn zu drehen. Es ging nicht, ganz gleich, wie viel Kraft ich einsetzte. Der Schlüssel rührte sich nicht vom Fleck. Nach zehn Minuten fing ich an zu weinen. Meine Hände waren rot und kalt, es regnete in Strömen, die anderen Kinder waren alle längst in ihren Häusern verschwunden. In diesem Moment kam auf der Straße eine Nachbarin vorbei, die ich nicht besonders gut kannte – sie war alt und wohnte mit ihrem Mann im höchstgelegenen Haus, in der Nähe des Walds über dem Fußballplatz –, und als ich sie sah, zögerte ich nicht, denn sie hatte keinerlei Kontakt zu meinen Eltern, stürzte zu ihr und fragte sie unter Tränen, ob sie mir mit dem Schloss helfen könne. Das könne sie. Und bei ihr hatte es dann problemlos geklappt! Sie ruckelte ein wenig an dem Schlüssel und drehte ihn. Schwupps stand die Tür offen. Ich dankte ihr und ging ins Haus. So wusste ich jedenfalls, dass der Fehler nicht beim Schlüssel lag, sondern bei mir. Beim nächsten Mal regnete es nicht, so dass ich einfach den Ranzen an der Eingangstreppe ablegte und zu Geir hinauflief. Als Vater nach Hause kam, machte er eine Bemerkung über die Schultasche, die dürfe da nicht einfach herumliegen, so dass ich den Ranzen am nächsten Montag, an dem es ebenfalls trocken war, einfach unter dem Vorwand mitnahm, dass ich bei Geir Hausaufgaben machen würde und

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