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Spielen: Roman (German Edition)

Spielen: Roman (German Edition)

Titel: Spielen: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl Ove Knausgård
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hüten, etwas zu sagen«, meinte Geir. »Vielleicht passiert ja gar nichts!«
    Als ich nach Haus kam, war Frau Hjellen bei uns. Sie sah, dass ich geweint hatte, und fragte mich, was los sei. Ich bat sie, mir zu versprechen, niemandem etwas davon zu erzählen. Sie versprach es. Daraufhin erzählte ich es ihr. Sie strich mir über die Wange und meinte, es sei das Beste, es meinen Eltern zu erzählen. Ich traue mich nicht, sagte ich ihr, und dabei blieb es. Jedes Mal, wenn in den nächsten Tagen das Telefon klingelte, erstarrte ich in einer Angst, die größer war als jede, die ich bis dahin empfunden hatte. Große Finsternis hing über diesen Tagen. Aber es war niemals er, der anrief, immer jemand anderes, und mit der Zeit glaubte ich, dass alles vorübergehen und sich von selbst in Wohlgefallen auflösen würde.
    Dann rief er an.
    Das Telefon klingelte, Vater ging unten an den Apparat, und es vergingen ungefähr drei Minuten, bis es im Apparat oben klickte, was bedeutete, dass er aufgelegt hatte. Er kam die Treppe herauf, seine Schritte waren entschlossen und voller Willenskraft. Er ging zu Mutter hinein. Ihre Stimmen waren laut. Ich saß weinend auf dem Bett. Ein paar Minuten später ging die Tür zu meinem Zimmer auf. Beide kamen herein. Das passierte sonst nie. Ihre Gesichter waren finster und ernst.
    »Mich hat gerade ein Mann angerufen, Karl Ove«, begann Vater. »Er hat gesagt, du hättest einen großen Stein auf sein Auto geworfen und das Dach verbeult. Stimmt das?«
    »Ja«, antwortete ich.
    »Wir konntest du nur so etwas TUN?«, fragte er. »Was stimmt mit dir nicht? Du hättest ihn umbringen können! Begreifst du das? Begreifst du, wie ernst das ist, Karl Ove?«
    »Ja«, antwortete ich.
    »Wenn der Stein die Windschutzscheibe getroffen hätte«, warf Mutter ein, »hätte er von der Straße abkommen oder mit einem anderen Auto zusammenstoßen können. Er hätte umkommen können.«
    »Ja«, sagte ich.
    »Jetzt muss ich die Reparatur bezahlen. Das wird ein paar tausend Kronen kosten. Und das ist Geld, das wir eigentlich nicht haben!«, rief Vater. »Wo sollen wir es hernehmen?«
    »Ich weiß es nicht«, sagte ich.
    »Oh, dieses verdammte Kind!«, sagte er und wandte sich ab.
    »Und dann hast du es uns nicht einmal erzählt«, meinte Mutter. »Es ist ja schon vor mehr als einer Woche passiert. Du musst uns doch sagen, wenn so etwas passiert, verstehst du? Du musst mir versprechen, dass du das tust.«
    »Ja«, erwiderte ich, »aber ich habe es Frau Hjellen gesagt.«
    »Frau Hjellen ?«, rief Vater. »Und uns nicht?«
    »Ja.«
    Er sah mich mit seinem kalten, wütenden Blick an.
    »Warum hast du das getan?«, fragte Mutter. »Wie konntest du nur auf die Idee kommen, mit einem Stein auf ein Auto zu werfen? Dir muss doch klar gewesen sein, dass das gefährlich ist?«
    »Wir haben nicht geglaubt, dass wir treffen würden«, antwortete ich.
    »Wir?«, sagte Vater. »Wart ihr zu mehreren?«
    »Geir war auch dabei«, gestand ich, »aber ich habe den Stein geworfen, der getroffen hat.«
    »Es sieht wohl ganz so aus, als müsste ich auch noch mit Prestbakmo sprechen«, erklärte Vater, sah Mutter an und wandte sich anschließend wieder mir zu.
    »Du hast heute Abend und die nächsten beiden Abende Hausarrest. Diese und nächste Woche gibt es kein Taschengeld. Hast du verstanden?«
    »Ja«, sagte ich.
    Dann gingen sie hinaus.
    Alles ging vorüber. Auch das. Es war die Finsternis zwischen dem Vorfall selbst und seiner Enthüllung, eine Zeitspanne, in der alles ganz normal zu sein schien, es aber nicht mehr war, die so furchtbar war. Als alle Dinge unter ihrer starren und alltäglichen Oberfläche bebten. Etwa ein Jahr zuvor wollte ich deshalb ausreißen. Damals hatte kein Stein, sondern ein Messer mein Unglück besiegelt. Alle anderen Kinder hatten ein Fahrtenmesser bekommen, nur ich nicht. Ich sei zu klein und zu verantwortungslos. Schließlich überreichte Vater mir eines Tages dann doch in einer Art Zeremonie ein Messer. Sie würden mir jetzt vertrauen, sagte er. Ich verbarg meine Enttäuschung darüber, dass er ein Mädchenmesser gekauft hatte; dass der Pfadfinder auf der Abbildung auf der Messerscheide einen Rock und keine Hose trug, gehörte offenbar zu den Details, deren Wahrnehmung man von Erwachsenen nicht erwarten konnte, und deshalb ließ ich die Freude über das Messer die Oberhand gewinnen, denn von nun an konnte ich schneiden und schnitzen und zustechen und es mit den anderen zusammen werfen. Ich musste nur

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