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Spielen: Roman (German Edition)

Spielen: Roman (German Edition)

Titel: Spielen: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl Ove Knausgård
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darauf achten, dass sie die Messerscheide nicht zu Gesicht bekamen. Noch am selben Tag schnitzte ich mit Leif Tore ein Schwert. Ein langes Brett, das ich vorne so zuspitzte wie eine Ahle, ergänzt um ein kurzes Holzstück quer als Griff. Mit unseren Schwertern in den Händen streiften wir durch die Siedlung, entdeckten zwei Mädchen mit Puppenwagen und schlichen ihnen eine Weile hinterher, ehe wir zum Angriff übergingen. Wir stellten uns vor, wir wären Piraten und sie Schiffe, und stachen mit unseren Schwertern immer wieder durch den Stoff der Verdecke ihrer Puppenwagen. Die Mädchen heulten und schrien, und wir zogen uns wieder zurück. Sie meinten, sie würden uns verpetzen, und wir bekamen wegen dem, was wir angestellt hatten, Angst und behielten sie im Auge. Erst gingen sie nach Hause, aber dann kamen sie wieder heraus und gingen zu Gustavsens und zu unserem Haus. In panischer Angst vor den Folgen beschlossen wir auszureißen. Wir kletterten den Berg hinauf, gingen oben angekommen in den Wald und blieben in ihm, so weit wir kamen,also bis zum Steilhang über dem Waldsee Tjenna. Weder Leif Tore noch ich waren jemals dort gewesen. Wir waren weit von zu Hause entfernt, und ich überlegte, dass wir dort schlafen und am nächsten Morgen weiterziehen könnten. Wir setzten uns auf die Felskante und blickten in die Ferne. Die Sonne hinter uns stand tief, die Landschaft, die sich vor uns ausbreitete, war in ihrem Licht fast golden. Etwa eine halbe Stunde blieben wir dort sitzen. Dann wollte Leif Tore nach Hause. Er sagte, er habe Hunger. Ich versuchte, ihn zu überreden, wir waren doch weggelaufen, da konnten wir jetzt doch nicht einfach zurückgehen, aber er blieb standhaft und wollte auf gar keinen Fall im Freien schlafen, und ich, der ich mich im Dunklen fürchtete, konnte auf gar keinen Fall alleine im Freien schlafen, so dass ich ihn zurückbegleitete. Als ich nach Hause kam, erwartete Vater mich bereits im Garten, packte meinen Arm und schleifte mich in mein Zimmer, wo ich Hausarrest bekam. Das Messer wurde konfisziert, obwohl ich ein Schwert benutzt hatte und nicht es. Sie verstanden den Unterschied nicht. Mit dem Messer zuzustechen wäre für mich völlig undenkbar gewesen. Die Schwerter waren aus Holz, damit hatten wir zugestochen, die hätten sie uns abnehmen müssen. Stattdessen konfiszierten sie das Messer. Ich hörte, wie sie darüber sprachen. Sieh dir das an, sagte Vater, sieh dir mal die Messerscheide an, die ist ja ganz kaputt. Er meinte die zahlreichen Löcher, die ich ausgestochen hatte, um zu verbergen, dass der Pfadfinder keine Hose, sondern einen Rock trug, und interpretierte sie als Zeichen meiner Unvorsichtigkeit und Unreife. Während ich an diesem und dem nächsten Abend mit Hausarrest in meinem Zimmer hockte, sah ich Leif Tore draußen spielen. Er hatte von seinem Vater eine Ohrfeige bekommen, und damit hatte sich die Sache erledigt. Die Ohrfeigen machten ihm nichts aus.
    Aber das ging vorüber. Alles ging vorüber. Die Mädchen bekamen neue Puppenwagen, der Autofahrer bekam ein neues Dach, der Hausarrest wurde aufgehoben, das Taschengeld wieder eingeführt, am Abend war die Straße vor unserem Haus voller Kinder, genau wie der unterhalb gelegene Wald, der uns immer offen stand, Tag und Nacht, im Winter wie im Frühling. Anne Lisbet und Solveig kamen nie zu uns herunter, wir gingen stets zu ihnen hinauf, so dass uns zwei Welten offen standen, eine vor unseren Häusern, in der wir uns in die große Ansammlung von Kindern warfen, die Abend für Abend zusammenkamen, Fußball spielten, auf der Straße tollten, im Wald aus Tannenzweigen Hüttchen bauten, herumliefen und den Kopf in jeden Winkel der Siedlung steckten, und als es kalt wurde und die Gewässer zufroren, liefen wir Schlittschuh auf dem Tjenna, wo die wundersamen Geräusche von Schlittschuhstahl auf Eis, zurückgeworfen von dem flachen Felsen, an dem die Bahn vorbeiführte, jeden Tag dort mit intensiver Freude füllten – und eine andere Welt bei ihnen, wo alles scheinbar dem glich, was wir daheim hatten, denn auch hier gab es jede Menge Kinder, die sich in alle Aktivitäten stürzten, in die man sich nur stürzen konnte, auch hier kickten sie auf der Straße und spielten im Dunkeln, auch hier spielten sie Gummitwist und sprangen Seil, auch hier liefen sie Schlittschuh, wenn die Gewässer zufroren, und Ski, wenn es geschneit hatte, aber es war trotzdem anders. Die Freude lag an einem anderen Ort, nicht in dem, was wir taten, sondern

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