Spielen: Roman (German Edition)
Lisbet wohnte. Die beiden hatten keine eigenen Kinder, so dass sie sich immer über einen Besuch freuten, und ich war alleine und zusammen mit den anderen drei bei ihnen. Wenn sie bei uns putzte, erzählte ich ihr alles Mögliche, auch Dinge, über die ich mit Mutter und Vater nicht sprach. Sie brachte mir bei, wie ich die Haustür mit dem Schlüssel öffnen konnte, den ich bekommen hatte – der Trick war, ihn wieder ein kleines bisschen herauszuziehen, nachdem man ihn ganz hineingesteckt hatte, und ihn erst dann zu drehen.
Und so war es auch Frau Hjellen, der ich mich anvertraute, als einer der Steine, die wir immer mal wieder auf die Autos auf der Straße unter uns warfen, endlich traf. Ich hatte ihn geworfen. Wir standen an dem grünen Zaun, und Geir hatte seinen Wagen gerade verfehlt, als ich einen Stein aufhob und darauf wartete, dass ein neues vorbeifahren würde. Der Stein war größer als meine Hand und so schwer, dass ich ihn eher stoßen als werfen musste. Da, ein Auto in der Kurve. Das Rauschen auf der Geraden. Jetzt!
Der Stein segelte durch die Luft. Als er fiel, wusste ich sofort, dass er treffen würde. Dass der Knall beim Aufprall auf das Autodach jedoch so laut sein würde, hatte ich nicht vorhergesehen und ebenso wenig, dass in der nächsten Sekunde Bremsen quietschen und blockierende Reifen über den As phalt rutschen würden.
Geir sah mich mit ängstlichen Augen an.
»Wir hauen ab!«, sagte er.
Er kletterte über die Steine, rannte über die Straße, kletterte den kleinen Felsvorsprung hinauf und verschwand.
Wie gelähmt blieb ich stehen. Ich war unfähig, mich zu bewegen, hatte zu viel Angst. Selbst als ich hörte, dass die Autotür dort unten wieder geschlossen und der Motor angelassen wurde und der Wagen sich in Bewegung setzte, um in die Richtung zu fahren, in der ich stand, rührte ich mich nicht vom Fleck.
Eine halbe Minute später kam das Auto die Straße heraufgefahren. Während mir Tränen über die Wangen liefen und meine Beine so zitterten, dass sie mich kaum mehr trugen, sah ich ihn drei Meter über mir auf der Straße halten. Der Fahrer öffnete nicht die Tür und stieg aus, er warf sie auf und sprang mit hochrotem Kopf wutentbrannt heraus.
»Hast du den Stein geworfen?!«, rief er und war schon auf dem Weg die Böschung herunter.
Ich nickte.
Er packte mich an den Armen und schüttelte mich.
»Kapierst du eigentlich, dass du mich fast umgebracht hättest? Was wäre denn gewesen, wenn der Stein die Windschutzscheibe getroffen hätte? Kapierst du das? Außerdem ist das Auto BESCHÄDIGT! Weißt du eigentlich, was es kostet, das Dach auszubeulen? Oh, das wird dich teuer zu stehen kommen!«
Er ließ mich los.
Ich weinte so sehr, dass ich nichts mehr sah.
»Wie heißt du?«, fragte er.
»Karl Ove«, antwortete ich.
»Und mit Nachnamen?«
»Knausgård.«
»Wohnst du hier?«
»Nein.«
»Wo wohnst du dann?«
»Nordåsen Ringvei«, antwortete ich.
Er richtete sich auf.
»Du wirst noch von mir hören«, erklärte er. »Oder besser gesagt, dein Vater wird von mir hören.«
Im Nu eilte er mit seinen langen Beinen die Böschung hinauf, setzte sich in den Wagen, knallte die Tür wieder zu und fuhr mit einem Kavalierstart weiter.
Ich setzte mich schluchzend auf die Erde. Es gab keine Hoffnung mehr.
Im nächsten Moment rief Geir von oben nach mir. Er kam heruntergelaufen und wollte wissen, was geschehen war und was der Mann gesagt hatte. Natürlich war er froh, dass ich geworfen hatte und meinen Namen angegeben hatte. Aber vor allem wollte er wissen, warum ich nicht weggelaufen war. Wir hatten doch genug Zeit gehabt, das Weite zu suchen. Wenn ich gelaufen wäre, hätte der Mann mich niemals erwischt und nie erfahren, dass ich den Stein geworfen hatte.
»Ich weiß es nicht«, sagte ich und wischte mir die Tränen aus dem Gesicht. »Aber ich konnte einfach nicht. Ich konnte mich plötzlich nicht mehr bewegen.«
»Erzählst du es zu Hause?«, fragte Geir. »Das wird das Beste sein. Wenn du sagst, was passiert ist, werden sie wütend, aber das geht vorbei. Wenn du es nicht sagst und er anruft, wird es schlimmer.«
»Ich traue mich nicht«, erwiderte ich. »Das kann ich nicht erzählen.«
»Hast du ihm den Namen deines Vaters gesagt?«
»Nein. Nur meinen.«
»Aber du stehst doch gar nicht im Telefonbuch!«, rief er. »Er muss doch deinen Vater anrufen. Und seinen Namen hast du ihm nicht gesagt!«
»Nein«, bestätigte ich und schöpfte Hoffnung.
»Dann solltest du dich
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