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Spieler Eins - Roman in 5 Stunden

Spieler Eins - Roman in 5 Stunden

Titel: Spieler Eins - Roman in 5 Stunden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Klett-Cotta Verlag
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beginnt sie nun draufloszuplappern: »Und Erkältungen und die Grippe sind eigentlich nur Methoden der Natur, den Körper für die Krebsabwehr zu trainieren. Sie kennen ja den alten Spruch: Nie auch nur einen Tag krank gewesen und dann schlagartig, peng, Sense! Menschen, die häufig erkältet sind, leben länger. Das ist ein Fakt.«
    Hab ich gerade wirklich gesagt: ›Das ist ein Fakt‹?
    Warren verabschiedet sich zügig ins TV -Land, und zu diesem Zeitpunkt wünscht sich Karen nicht mal, er bliebe hier – aber wenn er abhaut, möchte sie zumindest, dass der Abgang zu ihren Bedingungen erfolgt. Sie braucht nur das allerklitzekleinste bisschen Kontrolle, damit sie sich emotional unversehrt aus dieser Zufallsanordnung herausziehen kann. Sie hämmert den letzten Nagel in den Sarg ihres Internetdates: »Wenn Sie Kandidat bei Jeopardy! wären, Warren, was wären Ihre sechs Lieblingskategorien?«
    Warren murmelt: »Ach, du liebes bisschen. Bist du eine Labertante, oder was?«
    Schön, Karens Leben mag keine Story sein. Das weiß sie jetzt. Sie weiß, dass das eigene Leben als Story zu betrachten höchstwahrscheinlich nichts ist als ein kitschiges Relikt aus der Ära der großen Hollywoodstudios, einer Gesellschaft voller Zeitschriften und Magazine, die nur dank ihrer Anzeigenkunden überleben, und voller Buchklubs für die Mittelschicht, in der überqualifizierte Menschen nur noch so tun, als würden sie auch die zweite Hälfte von Büchern lesen, und mehr Weinkenntnisse für sich reklamieren, als sie tatsächlich besitzen.
    Karen ist aufgefallen, dass es jungen Menschen anscheinend nicht darauf ankommt, ob ihr Leben eine Story hat. Bei Casey ist es jedenfalls so und auch bei dem kleinen Perversling im Flieger heute Nachmittag. Der würde sein Leben wahrscheinlich genauso wenig mit einer Story vergleichen wie mit einer Seegurke. Er und Casey leben in einer Welt der Screenshots, Website-Klicks und tabellarisch genau erfassten Freunde und Feinde. Der kleine Perversling aus dem Flugzeug würde Karen bloß als scharfe Mutti betrachten, die ihm gegenüber ein bisschen aufreizend war. Karen weiß, dass ihr Foto jetzt wahrscheinlich auf Facebook steht und sie dort als Congar gehandelt wird. Und garantiert würde der Junge aus dem Flieger kein Mitgefühl haben, wenn er Karen jetzt mit ihrem gescheiterten Internetdate in einer Cocktaillounge sähe; ihr Make-up in den Krähenfüßchen um ihre Augen mittlerweile abbröckelnd wie die Pyramiden, bis jede Illusion von Jugend verschwunden ist. Wo sind all die Jahre hin? Wenn Zeit verbraucht ist, landet sie dann auf so einer Art Schrottplatz? Oder fließt sie ab wie das Wasser unter den Niagarafällen? Verdunstet die Zeit, wird sie zu Regen, damit dann alles wieder von vorne beginnt?
    Karen fühlt sich seltsam, so als Mensch ohne Geschichte, wie so viele andere da draußen heutzutage, die ab einem gewissen Alter ohne einen narrativen Motor dastehen, der sie durchs Leben zieht. Früher hätte sie sich wenigstens eine passende Nische in ihrem sozialen Verband suchen können: als warnendes Beispiel einer Geschiedenen, als toughes altes Mädchen, das … Und schon da fällt ihr nichts mehr ein. Das toughe alte Mädchen, das Vogelhäuser aus Nummernschildern bastelt? Das toughe alte Mädchen, das die x Jahre bis zum Tod einfach nichts Weltbewegendes tut, bis Wissenschaft, Genetik, Ernährung und Lebenswille versagen und das unvermeidliche Ende kommt?
    Karen saß auf ihrem Barhocker und betrachtete Warren mit seiner Seriensextäterbrille, wie er in den Fernseher über der Bar starrte. Vielleicht war er doch nicht so übel. Oh, nein, großer Gott, das darf doch nicht wahr sein. Ein Teil von Karen war plötzlich von dem Teil von sich angewidert, der sich groteskerweise von dem vulgären, gemeinen, sexy Teil von Warrens Persönlichkeit angezogen fühlte – von dem Teil, der sie umgarnt und in eine Cocktaillounge zweitausendfünfhundert Kilometer von ihrem Zuhause entfernt gelockt hat. Online war er ein echter Charmeur. Karen hatte sich ausgemalt, wie seine Hände sanft und methodisch ihren Körper berührten – diesen Körper, der schleunigst irgendwie berührt werden wollte –, als würde er in der Bank stehen und ein Bündel Zwanziger durchzählen.
    Warrens Hände rieben über den Rand seines Highball-Glases. Rick erschien und reichte Karen, zu ihrer Verblüffung, ihren zweiten Drink des Nachmittags. Warren fragte: »Und, fühlst du dich jetzt besser?«, und das tat sie tatsächlich, so

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