Spieler Eins - Roman in 5 Stunden

der Eismaschine. O weh – meine Zähne! Ich habe meine Zähne nicht geputzt! Leslie Freemont wird meine Zähne sehen und mich sofort abschreiben! Rick macht, wie viele Menschen, ob zu Recht oder zu Unrecht, schlechte Zähne für viele Nackenschläge seines Lebens verantwortlich. Er schlüpft auf die Toilette und schrubbt sich rasch die Backenzähne. Blut tropft in das angeschlagene weiße Keramikwaschbecken. Rick spült sich den Schmodder aus dem Mund und geht zurück in die Bar. Als er einen Schluck aus seiner Tasse mit kaltem Kaffee trinkt, nimmt sein Mund einen vertrauten und unwillkommenen Geschmack wahr: den von gebratener Leber. Hä? Wieso hab ich Lebergeschmack im Mund? Dann begreift er, dass er abgestorbene Blutzellen schmeckt, denn die sind der Grund dafür, dass Leber wie Leber schmeckt, da die Leber die Kläranlage für das Blut ist. Diese Beobachtung amüsiert Rick, bestärkt ihn aber auch in seiner Gewohnheit, nichts zu essen, was mal einen Job hatte: Leber, Nieren, Thymusdrüsen … Flügel. Rick isst nur Fleisch -Fleisch. Natürlich sind Hamburger und Hotdogs in Ricks Universum des arbeitslosen Fleisches Ausnahmen von seiner Regel; er findet, dass alles schmeckt, wenn man es nur gründlich genug faschiert und in eine geometrische Form bringt.
    Rick schaut zu Karen hinüber: Ihr Internetdate geht eindeutig den Bach runter. Er könnte die beiden aus ihrem Elend erlösen und mit ihnen übers Wetter reden, aber Menschen können nur aus ihren Fehlern etwas lernen.
    Wie auch immer, Rick mag es, wie er sich momentan fühlt, undmöchte, dass es so bleibt. Es fühlt sich an wie am Weihnachtsmorgen. Als er diesen Morgen aufgewacht ist, war irgendetwas an dem Tag anders als sonst. Normalerweise hat er nach dem Aufwachen ein paar glorreiche Sekunden, dann fällt ihm wieder ein, wer er ist, wo er ist und zu was er geworden ist. Ab da ist er dann wieder Wile E. Coyote, der über die Klippe hinausrennt und plötzlich begreift, dass er gleich einen Bauklatscher unten auf dem Wüstenboden machen wird. Dann schaltet das automatische Denken sich ein, eine Endlosschleife, die in etwa so geht: Vielleicht habe ich mich heute Morgen nicht genug angestrengt, wach zu werden. Wenn ich nur etwas wacher wäre, geistig wacher, könnte ich mir die Welt so scharf ansehen, dass mir eine magische Offenbarung zuteil würde – wenn ich nur ein klein bisschen wacher sein könnte. Verdammt, mein Leben lang hab ich die Welt immer im Auge behalten, aber ich wette, genau in dem Moment, wo ich den Blick von meinem Eckchen Erdboden wende, wird sich die Erde auftun – und hätte ich hingeschaut, nur für diese eine Sekunde, hätte ich das Herz des Planeten gesehen, weißglühend und flüssig.
    Aber halt – heute, wenn Leslie Freemont da ist, werde ich um dieses fehlende bisschen ausgeschlafener sein!
    Leslie Freemont wird Ricks Horizont erweitern und sein Selbstwertgefühl heben. Zum Beispiel sagt Leslie, dass es egal ist, wo im Universum man sich befindet, alle Emotionen sind gleichwertig, eine universelle Konstante – und ja, wir als Menschen können sie alle erfahren. Das ist es, was uns den Tieren überlegen macht. Leslie ist irrsinnig klug. Leslie ist wie ein glänzender Zug, der durch die Landschaft gleitet, während die Menschen am Schienenstrang stehen und ihm zuwinken. Rick hingegen ist eher ein Bus. Einem Bus winkt niemand zu. Augenblick – er ist nicht mal ein Bus, er ist ein Auto mit einem Platten an irgendeiner Schotterpiste, auf der nie jemand fährt. Außerdem ist das Glas im Beifahrerfenster kaputt und mit Klebestreifen und einem transparenten Plastiksack aus der Chemischen Reinigung abgedichtet.
    Rick lässt den Blick über die Bar streifen und sieht Karens Elend. Plötzlich hat er eine Anwandlung von Großmut. Er hat Mitleid mit Karen und ihrer unverkennbar steifen Plauderei und beschließt, ihr noch einen Singapore Sling zu mixen. Als er das Rezept in seinem Cocktailbuch nachschlägt, ist er aufs Neue schockiert von der Zutatenliste; unfassbar, was für einen Mist sich die Menschen im zwanzigsten Jahrhundert in die Körper gekippt haben.
    Während Rick den Drink mixt, kehren seine Gedanken zu Leslie Freemont zurück. Wird der kleine Tyler stolz sein, wenn er hört, dass sein Vater die Welt mit ganz neuen, dynamischen Augen sieht! Bislang war Rick ein Nullbockmann gewesen, doch das Power Dynamics Seminar System hat ihm klargemacht, wie nichtssagend sein früheres Leben gewesen ist. Das Power Dynamics Seminar System ist