Spieler Eins - Roman in 5 Stunden
Stattdessen sieht sie nun gedämpfte Beleuchtung, keinerlei schrille Farben, abgesehen von der ekligen roten Vinylwand in der Computerecke, und eine Ansammlung stoffbezogener Barhocker, die nicht aussehen, als würden sie besonders gründlich gereinigt, und höchstwahrscheinlich ein Tummelplatz von Popomolekülen ganzer Jahrzehnte sind. Schließlich blickt sie hoch zur Decke, und da entdeckt sie den Eingang zum Lüftungsschacht.
Nachdem die beiden Männer in den Hohlraum zwischen Decke und Dach geklettert sind, nehmen Karen und Rachel wieder ihren Platz auf dem Fußboden hinter der Theke ein. Karens Arme sind verschränkt, was auf Beunruhigung schließen lässt. Rachel sagt: »Karen, Sie sehen fantastisch aus. So gelassen. Ich wünschte, ich hätte so viel Haltung wie Sie.«
Karen betastet ihr Haar und fragt: »Tatsächlich?«
»Ja«, sagt Rachel.
»Bei diesem ganzen Chaos hätte ich gedacht, ich würde ein bisschen mitgenommen aussehen«, meint Karen.
»Nein, Sie sehen großartig aus. Karen, ich muss Ihnen eine Frage stellen«, sagt Rachel.
»Nur zu.«
»Ich habe mich entschieden, dass Rick der Vater meines Kindes werden soll. Was halten Sie von dieser Entscheidung?«
Karen schweigt, will etwas sagen, hält erneut inne und sagt dann: »Tja, ich hoffe, Sie haben Ihr eigenes festes Einkommen. Geben weiße Mäuse das her?«
»Ja, ich denke, es wird weiterhin Bedarf daran geben, selbst in einer Gesellschaft, die durch die Ölknappheit und die politische, ökonomische und ökologische Anarchie, die diese Verknappung jetzt schon mit sich bringt, angeschlagen ist.«
»Sind Sie ein Mensch, Rachel?«, fragt Karen.
»Diese Frage ist mir oft gestellt worden«, sagt Rachel. »Ich weiß, dass sie humorvoll gemeint ist, und nehme keinen Anstoß daran.«
»Ich meinte nur …«
»Ist schon gut, keine Sorge. Ich habe die Sorge, dass ich vielleicht nicht mehr bin als mein medizinischer Zustand. Ohne meine Hirnanomalien, die andere offenbar als Schäden wahrnehmen, wäre ich vielleicht ein normaler Mensch – oder was immer ich eigentlich sein sollte , jedenfalls mehr als nur eine kaputte Frau. Wäre ich normal, hätte ich nicht zum Sozialen Kompetenztraining gehen müssen – und meinem Vater wäre es nicht peinlich, seinen Freunden zu erzählen, dass ich es in den Fünfzigtausend-Mäuse-Club geschafft habe.«
»Rachel, ich arbeite in einer psychiatrischen Gemeinschaftspraxis. Ich sehe den ganzen Tag lang Leute in floriden oder nicht-floriden Phasen ihrer Erkrankung. Wer sie gerade sind, hängt normalerweise bloß davon ab, ob sie ihre Medis nehmen oder nicht.«
»Was folgern Sie daraus? Sind diese Menschen wirklich Menschen? Oder sind sie nur die Summe ihrer Symptome?«
»Ich glaube, wir sind das alles: der Schaltplan unseres Gehirns, was unsere Mutter gegessen hat, als sie schwanger war, die Fernsehserie, die wir gestern Abend geguckt haben, der Freund, der uns in der zehnten Klasse betrogen hat, die Art und Weise, in der unsere Eltern uns bestraft haben. Heutzutage haben wir PET -Scans, Kernspin, Genkartierung, und in der Psychopharmakologie läuft die Forschung auf Hochtouren – es gibt so viele Arten, das Wesen eines Menschen zu erklären. Eine Persönlichkeit ist eher etwas wie ein … bunter Kartoffelsalat, der aus unserer Biographie plus unseren körperlichen Eigenarten, den guten wie den schlechten, zusammengemischt ist. Sagen Sie mir eins, Rachel, und bitte seien Sie ehrlich: Wenn Sie eine Tablette nehmen könnten und dann ›normal‹ wären, würden Sie es tun?«
Rachel denkt darüber nach, was Karen gesagt hat. Nach einer unbehaglich langen Pause fragt sie: »Kartoffelsalat ? «
Und in dem Moment ruft Rick: »Fang auf!«, und lässt die Schrotflinte nach unten in die Lounge fallen.
Die Dinge überstürzten sich, allerdings in Zeitlupe. Rick rannte und schaltete die Klimaanlage aus, während Rachel, Karen und Luke zur Vordertür gingen, um nachzusehen, ob sie die Barrikaden noch verstärken konnten. Beim Hinaussehen erblickten sie eine Art Chemiewolken-Blizzard – es war, als sähe man das World Trade Center einstürzen, aber mit farbigem Staub, nicht bloß grauem, und darin wirbelte etwas, das wie Hornissennester aussah und überall zu Boden plumpste. Das Tageslicht war verschwunden. Der rote Teppich auf dem überdachten Weg zum Hotel war zentimeterdick mit Dreck bedeckt, genauso wie der Körper des unglückseligen Warren.
»Was zum Henker ist das für ein Zeug?«, fragte Karen.
Luke rief ihr zu,
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