Spieler Eins - Roman in 5 Stunden
mit dem Kopf auf seinen Duffelbag. »Ich werd nicht versuchen, euch umzubringen, aber ich behalte meine Sachen. Das gehört zum Deal.«
Sie standen da und starrten ihn an. Rachel sagte: »Ich heiße Rachel. Das da sind Luke, Karen und Rick.« Der Heckenschütze knurrte dazu. Rachel sagte: »Sie sehen wirklich großartig aus für jemanden, der gerade etwas wie Sie durchgemacht hat. So gelassen. Ich wünschte, ich hätte so viel Haltung wie Sie.«
»Sagen Sie Rick, er soll seine Waffe runternehmen.«
»Das geht leider nicht«, sagte Rick.
Der Heckenschütze inspizierte den Bereich hinter der Theke, die Decke und das rückwärtige Zimmer. Etwas an der Kasse weckte sein Interesse, und er lachte. Er ging hin und riss einen Zeitschriftenausschnitt ab, der seitlich an dem Gerät klebte. Es war ein Farbfoto von Leslie Freemont, der in verzücktem Fünfundvierziggradwinkel an der Kamera vorbei gen Himmel blickte. »Was zum Teufel hat ein Foto von dem Irren hier verloren?«
»Das ist Leslie Freemont«, sagte Rick.
»Ich weiß verdammt gut, wer das ist.« Der Heckenschütze griff in seinen Duffelbag und holte einen der blutigen Lumpen heraus. Rachel sah genauer hin und erkannte, dass es in Wirklichkeit einblutverkrusteter Schopf weißer Haare war. Der Heckenschütze warf Leslie Freemonts Skalp auf die Theke. »Ich weiß, wie ich mit falschen Propheten umzugehen hab.«
SPIELER EINS
Das Besondere an der Zukunft ist, dass in ihr so viele Dinge geschehen, während die Gegenwart oft schal und tot erscheint. Wir fürchten die Zukunft, aber sie steht uns nun mal bevor. Ich kann euch hier schon verraten, dass Luke die Schrotflinte auf den Kopf des Heckenschützen gerichtet halten wird, während Karen und Rick ihn mit Klebeband an einen Stuhl fesseln. Nachdem sie damit fertig sind, wird die Gruppe erkennen, dass der Heckenschütze sich gern reden hört. Er wird zu der versammelten Gruppe sagen: »Stellt euch alle vor, ihr würdet euch mit jedem Tag stärker fühlen, mehr Lebenslust empfinden, statt ängstlich und kränklich zu sein und nicht zu wissen, ob ihr nicht lieber den Kopf unter der Decke halten solltet, statt euch dem neuen Tag zu stellen.«
Der Heckenschütze wird sagen: »Stellt euch vor, ihr wäret nicht länger in einer korrupten und sterbenden Welt gefangen, sondern würdet auf den Trümmern dieser Welt eine völlig neue errichten.«
Der Heckenschütze wird sagen: »Stellt euch vor, ihr würdet aus unbekanntem Grund rapide das Gedächtnis verlieren. Ihr wisst zum Beispiel nicht mehr, welcher Monat es ist oder welche Automarke ihr fahrt, welche Jahreszeit gerade ist, was ihr in eurem Kühlschrank habt oder wie die Namen gewisser Blumen lauten.«
Der Heckenschütze wird Luft holen und sagen: »Eure Erinnerung wird schockgefrostet – ein kleiner, makelloser Eisberg, alle Erinnerungen eingefroren, eingeschlossen . Eure Familien. Euer Geschlecht. Euer Name. Alles in einen stummen Eisblock verwandelt. Ihr seid frei von allen Erinnerungen. Ihr betrachtet die Welt nun mit den Augen eines Embryos, ohne irgendein Wissen, ihr seid nur Auge und Ohr. Dann schmilzt das Eis plötzlich, und eure Erinnerung kehrt zurück.Das Eis schwimmt in einem Teich – es taut, das Wasser erwärmt sich, und aus euren Erinnerungen sprießen Seerosen, zwischen denen Fische schwimmen. Und dieser Teich seid ihr.«
Und schließlich wird der Heckenschütze sagen: »Alle wollen in den Himmel kommen, aber niemand will sterben.«
An dieser Stelle wird Karen blinzeln, Rick, frisch in Rachel verliebt, denkt stattdessen: Weißt du was, erschieß mich doch, du armer Irrer. Mir doch egal, denn ich sterbe als glücklicher Mann. Giftgaswolken? Leck mich! Denn nichts kann die Liebe zersetzen, die mich schützt wie die drei Schichten Karosseriewachs meinen alten Barracuda. Alk? Dann versuch doch ruhig, mich umzubringen. Das zwischen dir und mir ist aus. Ich bin ein Mann, der verliebt ist, und für diesen kurzen Moment sind Leben und Tod ein und dasselbe geworden – leben ist das Gleiche wie sterben wie leben wie sterben …
Und in diesem Moment wird der Strom ausfallen.
Luke wird beim Erlöschen des Lichtes reflexartig aufkreischen: »Mein Familienschmuck!« – ein Witz, der ihm immer Lacher eingebracht hat, als in der Kirche nach dem Eissturm vor ein paar Jahren ein ums andere Mal der Strom ausfiel. Aber ein Witz hilft dir nicht weiter, wenn alles um dich herum schwarz wird – oder noch nicht einmal schwarz –, es wird so erscheinen, als hätte die
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