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Spieler Eins - Roman in 5 Stunden

Spieler Eins - Roman in 5 Stunden

Titel: Spieler Eins - Roman in 5 Stunden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Klett-Cotta Verlag
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als wäre sie ein Grizzlybär auf einem Einrad.
    »Der Hippocampus kann dann keine bleibenden Erinnerungen mehr speichern«, erläutert Rachel. »Unsere Jungs im Irak nehmen das ständig. Ich habe sie für den Fall, dass ich in der Öffentlichkeit ausflippe.«
    »Sind die auch sicher?«, fragt Rick.
    »Aber ja.«
    Max schluckt die Tabletten, und Rick spült mit dem Rest nach, den die Sodaleitung noch hergibt. Max entkleidet sich weiter so gut er kann, allerdings machen Adrenalin und Angst seine Bewegungen unbeholfen. Karen sieht tiefe Wunden wie von Milzbrand auf seinen Armen und Beinen. Als seine Cargoshorts zu Boden fallen, hört sie einen dumpfen Aufschlag. Sie nimmt an, dass in einer der Hosentaschensein iPhone steckt, mit den Bildern, die er im Flugzeug von ihr gemacht hat, was ihr nun wie vor einer Ewigkeit erscheint, obwohl es erst heute Morgen war. Für Karen stellt dieses Geräusch den Auftakt zum Rest ihres Lebens dar, zu einer ganz neuen Art zu leben – eine neue Welt im Zustand eines permanenten Stromausfalls. Ein immerwährendes Lagos, ein niemals endendes Darfur. Eine Welt, in der die Menschen Glückskekse essen, ohne sich damit aufzuhalten, die Prophezeiungen zu lesen. Eine Welt, in der Individualität wenig bedeutet: Menschen sind nur Scrabblesteine ohne Buchstaben, Packchips aus Styropor, Servietten bei McDonald’s.
    Karen beschließt, bei der ersten sich bietenden Gelegenheit Rachel um ein paar von diesen Tabletten zu bitten. Letzten Monat erst hatte sie mit Dr. Yamato im Pausenraum gescherzt, das Klügste, was der Forschung einfallen könnte, sei eine Pille mit dem Namen 10. September. Wenn man sie nähme, wäre es, als hätte es 9/11 nie gegeben. Nun möchte Karen eine Tablette, die das komplette einundzwanzigste Jahrhundert verschwinden lässt – die diese unausweichliche Zukunft verschwinden lässt. Dr. Yamato sagte, dass die Erde nicht dafür erschaffen sei, sechs Milliarden Menschen zu beherbergen, die alle auf ihr herumwieselten und sich des Lebens freuten. Die Erde sei für etwa zwei Millionen Leute ausgelegt, die nach Wurzeln und Engerlingen scharrten.
    »Na, Sie sind ja ein Charmeur«, hatte Karen gesagt, die gerade dabei war, Feierabend zu machen.
    Aber Dr. Yamato, dem ein dreitägiges Bipolar-Symposium die Laune verdorben hatte, redete weiter und sagte: »Karen, es kann gut sein, dass sich die ganze Menschheitsgeschichte letztlich als sinnlos erweist. Es kann gut sein, dass Individualismus sich als grausamer und unnützer Humbug entpuppt, den man Milliarden von Menschen aus unbekannten Gründen vorgegaukelt hat – ein schlechter Einfall, der Gott am achten Tag der Schöpfung gekommen ist.«
    Karen hatte gelacht – gelacht!
    Rick übernimmt jetzt die Bewachung, während Luke und Karen den humpelnden Max in den Vorratsraum zu den Recyclingtonnen führen.
    »Wo warst du, als es die Explosion gab?«, fragt Karen. »Wie bist du hierhergekommen? Warst du mit deinen Eltern zusammen? Wo sind sie nun?«
    Max steht in seinen Boxershorts da und sagt: »Wir waren gerade in einem Mietwagen unterwegs in die Stadt.«
    Luke sagt: »Hier gibt’s keine Wasserflaschen oder Club Soda. Das Beste, was ich anbieten kann, ist geschmolzenes Eis aus der Eismaschine.«
    »Dann nimm das.«
    Karen rebootet das Gespräch. »Deine Familie war also in dem Mietwagen.«
    »Ja, Richtung Innenstadt. Ich, mein Vater, meine Schwester.«
    »Und wo ist deine Mutter?«
    »Die ist letztes Jahr zu ihrem Trainer gezogen. Keine Ahnung.«
    »Tut mir leid.«
    »Vergessen Sie es. Wir waren der letzte Wagen, der vom Hof fuhr, bevor sie den Verleih eingestellt haben. Die Typen am Schalter haben komische Gesichter gemacht. Ich hab auf ihre Bildschirme geguckt, und da kam eine Eilmeldung: Sofort alle Betankungen einstellen. Und danach gleich: Keine weiteren Vermietungen mehr. Autsch! « Das geschmolzene Eis riecht nach Teflon, Fünf- und Zehncentstücken, als es über Max’ Kopf läuft und dann seinen Oberkörper herabrinnt. »Es fühlt sich an, als wäre ich am ganzen Körper von Wespen zerstochen.« Eine Träne bildet sich in seinem rechten Auge, deutlich sichtbar auf seiner wunden, puterroten Haut.
    Luke schnappt sich eine Flasche mit Wodka, gießt etwas davon in einen Plastikbecher, gibt etwas Cola hinzu und drückt Max den Becher in die Hand. »Hier, trink das.«
    »Und was ist dann passiert?«, fragt Karen.
    »Wir sind nicht weit gekommen. Die Polizei fing an, alle Highwayzufahrten zum Flughafen zu sperren. Überall drehten

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