Spieler Eins - Roman in 5 Stunden
ausgegangen. Dabei wird die Sonne noch immer dort oben stehen, doch sie wird kein Licht mehr werfen, nicht mal so viel wie der Vollmond. Mitten in der Nacht wird die große schwarze Sonne herabscheinen. Und unter dieser toten Sonne wird Rachel Autos sehen, die einfach während der Fahrt stehen geblieben sind, ihre Fahrer spurlos verschwunden. Die Türen der Häuser werden offen stehen, und sie weiß, würde sie diese Häuser betreten, würden dort Speisen, noch warm, auf den Tischen stehen, und doch würde nie jemand zurückkommen, sie zu essen. Eventuell würden noch einige Fernseher laufen, doch wenn sie hineinginge und die Sender wechseln würde, sähe sie nur menschenleere Szenen – die Sitcom-Wohnzimmer, Football-Stadien und Nachrichtenkanäle – nirgendwo mehr ein Mensch.
Und inmitten dieser abgeschalteten Landschaft wird Rachel plötzlich keuchen müssen, das Blut wird ihr im Schädel pochen, und sie wird allen, die es hören wollen, zuschreien: »Erwachet! Erwachet! Ich bringe euch frohe Botschaft! Euch dürstet! Euch hungert! Und ihr verzehrt euch danach, aus der Asche der Gegenwart etwas Neues zu erbauen. Und ich verkünde euch dies: Halleluja, wir sind bereit, ins Dritte Testament einzutreten. Unsere Zeit ist gekommen. Nun wird es für uns weitergehen. Fiktion und Wirklichkeit haben sich fürwahr vermählt. Was wir geschaffen haben, übersteigt jetzt, was wir sind. Die Zeit ist gekommen, die Seelen auszulöschen, die wir beschädigt haben, als wir auf dem plastikstrotzenden Weg des zwanzigsten Jahrhunderts dahinkrochen. Hört mich an! Bald werden wir wiedergeboren. Hört meine Worte, ich beschwöre euch, denn meine Vision endet hier. Erwachet! Erwachet! Hier spricht Rachel, die euch allen Lebewohl wünscht!«
STUNDE FÜNF
DIE SICHT AUS DAFFY DUCKS LOCH
KAREN
Der Teenager taumelt schreiend in die Lounge: »Meine Augen! Spült meine Augen aus! Oh Gott, meine Augen !« Karen zerrt und schubst ihn zur Theke, wo Rick einen Pitcher mit Eiswasser nimmt und es dem Jungen über das Gesicht laufen lässt. Der Junge schreit: »Ich kann kaum noch was sehen … ich sehe nichts mehr!«
»Warte«, sagt Karen. »Rick, hast du irgendeine Art von Schlauch dahinten?«
»Nein, bloß das hier.« Rick richtet den Fünf-Sorten-Soda-Stutzen auf das Gesicht des Jungen und spült ihm mit dessen kaltem, sauberem Strahl die sichtbaren Chemikalienreste weg. Währenddessen bewacht Luke weiterhin Bertis.
Karen sieht, dass Rachel die Tischtücher wieder vor die Loungetür klebt. Sie hat sich nicht die Mühe gemacht, sie abermals zu verbarrikadieren, und Karen versteht, warum – sie hatte den gleichen Gedanken gehabt: Was, wenn noch ein Unschuldiger Hilfe braucht? Wir müssen in der Lage sein, Leute schnell hereinzuholen . Anderen zu helfen ist wichtiger, als sich selbst zu schützen. Die Barrikade ist jetzt eher eine Belastung als eine Notwendigkeit; sie benötigen jetzt nur noch eine luftdichte Barriere gegen die Chemikalien.
»Wie heißt du?«, fragt Karen den Jungen.
»Max. Meine Lippen … meine Lippen brennen so.«
»Oh mein Gott. Max, Schätzchen, warte mal einen Moment, ja?«
Karen hat einen Flashback fünf Jahre zurück, als Casey eine Infektion mit antibiotikaresistenten Kolibakterien hatte. Diese ganze Aufregung, das Krankenhaus, die Sorge und ja, diese Hilflosigkeit.
Rachel läuft hinter die Theke und dreht den Wasserhahn auf, doch es kommt nichts raus. In ihrem ausdruckslosen Tonfall sagt sie:»Es kommt kein Wasser. Max, ich möchte, dass du deine Sachen ausziehst. Sofort. Lass sie auf den Boden fallen – nicht hinwerfen, damit kein Staub aufwirbelt. Dann führen wir dich nach hinten und waschen deinen Körper mit dem ab, was wir finden können. Niemand fasst Max’ Sachen an. Wir werden sie später in Tüten stecken. Karen und Rick, ihr spült euch die Hände jetzt mit dem Erstbesten ab, das ihr finden könnt.«
Während Rick Karens Unterarm abspritzt, ruft Bertis vom Fußboden: »Entschuldigung, aber ich hab nie so eine Vorzugsbehandlung gekriegt wie dieser Typ«, worauf Karen zurückgibt: »Nein, allerdings nicht.«
Rachel schaut in ihre Handtasche und holt eine Pillendose hervor, der sie ein paar Tabletten entnimmt, um sie Max in die Hand zu drücken. »Nimm die hier.«
»Was ist das?«
»Propanolol. Das ist ein Betablocker, der die Adrenalinproduktion drosselt, was wiederum die Gedächtnisfunktion mindert, was wiederum posttraumatischen Stress reduziert.«
Rick sagt: »Was?«, und sieht Rachel an,
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