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Spieler Eins - Roman in 5 Stunden

Spieler Eins - Roman in 5 Stunden

Titel: Spieler Eins - Roman in 5 Stunden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Klett-Cotta Verlag
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beliebt oder unbeliebt zu sein. Heutzutage gibt es so viele verschiedene Sachen, die man sein kann.«
    »Wie heißen Sie?«
    »Ich heiße Karen.«
    »Meine Haut brennt, Karen.«
    Karen wäre beinahe in Tränen ausgebrochen, aber sie beherrschte sich. »Gestern war ich bei Subway, Max, und habe mir ein vollkommen anderes Sandwich geholt als normalerweise. Anderer Belag, anderes Brot, andere Beilagen. Ich hab Cayennepfeffer genommen und Gurkenscheiben.«
    »Ja, und?«
    »Und als ich es dann essen wollte …«
    »Ja?«
    »Da schmeckte es wie das Sandwich von jemand anderem.«
    Max grinste. »Das ist witzig.«
    »Verrat mir mal, Max, wieso schmeckt Hühnchen nicht wie Ei? Und wieso sind Ampeln grün und rot, haben aber überhaupt nichts Weihnachtliches?«
    Max gluckste.
    »Ich bin ein bisschen betrunken. Ist das Gin, was ich hier trinke?«
    »Wodka.«
    »Ich war schon mal betrunken.«
    »Wirklich? Und?«
    »Mein Bett hat sich gedreht. Es war scheußlich. Crème de Menthe und Rye im Partykeller von meinem Freund Jordan. Aber das hier ist anders. Wissen Sie, was ich immer wollte?«
    »Was meinst du mit ›immer wollte‹?«
    »Was ich tun wollte, bevor ich sterbe.«
    »Max, du solltest an so was nicht denken.«
    »Ich wollte immer schon mal angeschossen werden.«
    »Du – was ?«
    »Angeschossen werden. Und es überleben. Und danach wollte ich dann meinen Führerschein machen und ein Auto kaufen. So eine echt trashige Karre aus den Neunzigern, und dann ein paar Löcher in die Seite schießen, weil das absolut das Coolste wäre, was man an einem Auto haben kann. Man wäre sofort cooler als jeder mit einem Mustang oder einem Lamborghini.« Max machte ein begeistertes Gesicht, als wäre er sechs und Karen hätte ihm erlaubt, Schokoladenkuchenteig von den Quirlen ihres Handmixers zu lecken.
    »Ich bin betrunken«, sagte Max.
    »Allerdings.«
    »Mein ganzer Körper brennt.«
    »Das tut mir leid, Schatz, aber es geht wieder weg.«
    »Ich weiß nicht, wo mein Vater und meine Schwester sind.«
    »Ich weiß nicht, wo meine Tochter ist, aber es wird ihr schon gut gehen, da bin ich sicher. Man darf sich nicht immer so verrückt machen.«
    Luke kam herein. »Hier ist das iPhone.«
    »Gib es mir, Luke.« Karen betrachtete das iPhone. »Mein Chef hat das gleiche Modell. Ich glaub, ich seh mir mal ein paar von deinen Bildern an, Max.«
    »Ich kann aber nichts sehen.«
    »Das macht doch nichts. Ich guck mir die Bilder an und stelle Fragen, und du sagst mir, was ich wissen muss.«
    »Okay.«
    Karen fummelte am Display herum, bis sie ein Foto von Max’ Vater und Schwester an einem Flughafengate gefunden hatte. »Hier seid ihr an einem Flughafen. Woher kommt ihr, Max?«
    »Calgary.«
    Karen scrollte weiter. »Wie heißt deine Schwester?«
    »Heather. Ein echter Achtzigerjahrename. Meiner Mutter gefällt er.«
    Ein paar Aufnahmen weiter fand Karen die Fotos von sich selbst – zwei aufgenommen, ohne dass sie es bemerkt hatte, das dritte, auf dem sie Klein-Max den Mittelfinger zeigte. »Und nun kommen wir zu …«
    »Sie haben die Fotos von sich selbst gefunden, was?«
    »Ja, stimmt.« Das letzte Foto war genauso witzig, wie Karen es sich vorgestellt hatte. Sie grinste. Sie konnte spüren, dass Luke hinter ihr stand. Er hatte während der ganzen Zeit, die sie im Lagerraum waren, praktisch nichts gesagt, aber seine Gegenwart war deutlich bemerkbar gewesen. Seit ihrer Hochzeit hat sie sich nicht mehr so durch einen anderen Menschen bestärkt gefühlt.
    Max sagte: »Halten Sie den Atem an.«
    »Hä? Den Atem anhalten? Warum?«, fragte Karen.
    »Tun Sie’s einfach. Bitte.«
    Karen hielt ihren Atem an, und Max machte es genauso.
    Dann sagte er: »Wissen Sie was? Ich wette, wenn wir hier jetzt erstarren und uns nicht mehr rühren und auch nicht atmen würden, könnten wir verhindern, dass die Zeit sich weiterbewegt.«
    »Du glaubst, das würde funktionieren?«
    »Bestimmt.«
    Karen sah Luke an, der ihr mimisch zu verstehen gab: Warum nicht? Er setzte sich neben sie und nahm ihre Hand, und so saßen sie dann zu dritt da, ohne zu atmen, in der Bewegung erstarrt, und versuchten, die Zeit anzuhalten. Und für einen unendlich winzigen Augenblick stand die Zeit tatsächlich still. Verflixt , dachte Karen, die Zeit könnte die ganze Zeit stehenbleiben und dann wieder anlaufen, und wir wären doch nicht schlauer als davor, so hilflos sind wir ihr ausgeliefert. In der Zeit, die nötig ist, diesen Gedanken zu formulieren, könnte die Zeit für eine

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