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Spiels noch einmal

Spiels noch einmal

Titel: Spiels noch einmal Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Esi Edugyan
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wie Masken, als wären wir von einer durchsichtigen Schicht überzogen. Wir sahen alle nicht aus wie wir selbst.
    Delilah ist weg, dachte ich die ganze Zeit. Und dann: Sachsenhausen . Und dann: Delilah.
    Ernst stand entschlossen auf. Er fuhr sich mit der Hand über einen Ärmel, aus bloßer Gewohnheit offenbar. »Ich ho
le den Horch aus der Garage und fahre hinten zum Bühneneingang. Wir müssen weg, sofort. Wir wissen nicht, was Paul oder Delilah ihnen gesagt haben, aber ich bin mir sicher, dass sie uns hier suchen werden. Nehmt alles mit, was ihr braucht.«
    Sachsenhausen.
    »Wo fahren wir hin?«, fragte Hiero langsam wie unter Wasser.
    Delilah war weg.
    »Nach Hamburg. Und von da, hoffe ich, nach Paris.« Ernst wirkte, als wollte er noch etwas sagen, aber dann entschied er sich dagegen: Offenbar fand er, es würde zu lange dauern.
    Sachsenhausen.
    »Ich fahre nicht mit«, sagte Fritz. Seine Stimme klang angespannt. Mit einem Mal wurde mir wieder bewusst, wie riesig groß er war, wahrhaftig groß genug, um selbst zu entscheiden, was für ihn gut war. Er ging zur Rampe, nahm sein Saxophon und seinen Mantel.
    »Du kannst nicht hier bleiben, Fritz. Das ist Irrsinn.«
    Auf Ernsts Worte folgte ein langes Schweigen. Fritz runzelte die Stirn. »Franz Thon hat mich gefragt, ob ich nicht bei der Goldenen Sieben einsteigen will«, sagte er ruhig. »Ich wollte es euch sagen, bevor ich das mit Paul erfuhr. Aber, na ja.« Er zuckte die Achseln.
    Ich hatte einen sonderbaren Geschmack im Mund, es fühlte sich an wie Spinnweben. Fritz bei der Goldenen Sieben ? Es war unvorstellbar. Ich hatte in meinem ganzen Leben noch nie etwas gehört, das mir derart unwirklich vorkam. Plötzlich erschien mir alles wie ein wirrer Traum, einfach lächerlich.
    Ernst starrte auf den dreckigen Fußboden. »Und du hast zugesagt.«
    Wir alle saßen stumm da und starrten Fritz an.
    Wieder zuckte er die Achseln. Dann drehte er sich und ging, den Kopf steif erhoben, zwischen den Tischen durch in Richtung Vordereingang. Ich glaubte, bei jedem Schritt zu hören, wie seine fetten Oberschenkel in dieser Anzughose aneinander rieben. Auf halbem Weg blieb er stehen. »Du solltest auch mitmachen, solange sie dich noch haben wollen. Sie sind wirklich nicht schlecht, aber wenn du dabeiwärst, wären sie noch besser. Denk darüber nach. Du hättest dein Auskommen, würdest gutes Geld verdienen – du wärst versorgt.« Er streifte uns mit einem betrübten Blick.
    Ernst senkte den Kopf und zündete sich sehr umständlich eine Zigarette an. Ich sah ihn das Streichholz ausschütteln; seine Hände zitterten.
    »Ich glaube nicht, dass ich mich schon mal so sehr für jemanden geschämt habe«, sagte er. »Nie.« Er blies bleichen Rauch aus. »Viel Glück, mein Freund.«
    »Den nennst du einen Freund ?«, schrie Chip. »Diesen fetten Drecksack?«
    Hiero starrte Fritz undurchdringlich an.
    Fritz nickte, dann noch einmal. Er setzte zum Sprechen an, aber dann ließ er es sein.
    Chip stand auf, beugte sich über den Tisch. »Verdammter Scheißkerl«, schrie er, »hau bloß ab, bevor ich dir diese Trompete so tief in den Hals ramme, dass sie am andern Ende wieder rauskommt. Verschwinde!«
    »Verdammt, Chip.« Ernst erhob die Stimme. »Setz dich.«
    Aber Fritz war schon draußen in der Eingangshalle.
    Chips Keuchen erfüllte den Raum. Wir hörten, wie der
Riegel der Vordertür zurückgezogen wurde, dann ging die Tür auf und wieder zu. Dann Stille. Im Aufenthaltsraum tropfte der Wasserhahn, draußen ein fernes Rumoren, als bebte die Straße, als zitterte das ganze Pflaster.
    3
    Ich saß hinten an das Fenster des Horch gelehnt, mein zusammengelegtes Jackett als Kissen unter dem Kopf. Kilometer um Kilometer zog öde im Dunkeln vorbei. Ich weiß noch, wie die Sonne rot im Osten aufging. Delilah, der Geruch ihrer Haut, ihre kühlen Finger, die an meinem Brustkorb entlangstrichen. Und Paul, stockbetrunken am Klavier, sein bernsteinfarbenes Lachen. Ich fühlte mich schwer, leer, als wäre ein Licht in mir ausgegangen. Der Horch holperte und ratterte über Seitenstraßen, fuhr eine Steigung hinauf zur Autobahn. Und dann spürte ich nichts mehr. Keine Trauer, keinen Abscheu, keinen Zorn. Nichts.
    Ich weiß noch, dass der Junge plötzlich zu fluchen anfing. Wir waren schon weit weg von Berlin, als er schimpfend auf die Lehne des Fahrersitzes vor ihm haute und schrie, er habe seine Trompete im Hound liegenlassen. Ich öffnete die Augen. Mein Bass ragte zwischen uns auf, die Schnecke

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