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Spiels noch einmal

Spiels noch einmal

Titel: Spiels noch einmal Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Esi Edugyan
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wir, Ernst, keine Angst.«
    Ernst wandte sich an Chip. »Nein, ich bin nicht hier aufgewachsen. Meine Mutter hat das hier erst vor zwei Jahren gekauft.«
    »Deine Familie muss ganz schön groß sein«, bemerkte Chip lächelnd. »Mann, das alles ist so riesig, dass uns hier nie jemand finden wird.«
    Ein Mann war an die Balustrade getreten und beobachtete uns. Sein langer Schatten streckte sich genau in unsere Richtung. Etwas an der Art, wie seine grauen Finger den Stein gefasst hielten, war mir unheimlich. Ernst hielt die flache Hand über die Augen und spähte hinüber.
    »Ist das dein Vater?«, fragte Hiero.
    Ernst schüttelte den Kopf. »Das ist Rummel.«
    Der Mann kam die Treppe herunter. Er bewegte sich mit steifer Eleganz. Als er sich näherte, sah ich erst so richtig, wie lang und mager er war, fast zwei Meter groß und dünn wie eine Bohnenstange. Er hatte ein hageres ausdrucksloses Gesicht, seine farblosen Augen lagen tief in den Höhlen. Er machte eine knappe, steife Verbeugung, die Nackenmuskeln angespannt.
    »Herr Ernst«, sagte er. »Ich freue mich, Sie zu sehen.«
    »Rummel«, sagte Ernst lächelnd, »Das hier sind Sid Griffiths und Chip Jones, und das ist Hieronymus Falk. Sie werden hier übernachten. Wären Sie bitte so freundlich, für meine Freunde Zimmer herrichten zu lassen? Im Westflügel, ja?«
    Rummel nickte. »Soll ich Ihrer Mutter Bescheid sagen, dass Sie da sind?«
    Ernst sah ihn an. »Wo ist mein Vater?«
    »Ihr Vater?«
    Aber Ernst war schon auf dem Weg zum Haus. »Die Instrumente könnt ihr im Auto lassen«, rief er uns zu. »Rummel wird sich darum kümmern. Habt ihr Hunger?«
    Meine Fresse. Die Eingangshalle, die wir betraten, war mindestens acht Meter hoch. Sie hatte einen schimmernden Marmorfußboden und war von Licht durchflutet, das durch Buntglasfenster einfiel. In der Mitte des Raums stand ein dunkler Tisch, darauf eine Kristallschale mit Wasser, in dem leicht schaukelnd Lilienblüten schwammen. Nach rechts, nach links und geradeaus erstreckten sich lange Korridore. Hinter einem Torbogen, an dessen Seiten grüne Samtvorhänge mit Kordeln gerafft hingen, sah man in einen Wintergarten. Elegant geschwungene breite Treppen führten von der Halle hinauf in die oberen Stockwerke.
    Hiero schaute Ernst mit einem sonderbaren Gesichtsausdruck an.
    »Ja, ja«, sagte Ernst, »es ist ziemlich groß, ich weiß. Das meiste ist gar nicht bewohnt. Es ist ein Mausoleum. Kommt. Ich finde es scheußlich, hier reinzukommen.«
    Chip pfiff leise. »Mann, das ist doch echt imposant.«
    »Genau, das ist ja das Schlimme«, sagte Ernst.
    Er führte uns zu dem rechten Korridor. Bei einer kleinen Nische machte er halt und schaute unschlüssig den Gang entlang, der weiter vorn eine Biegung machte. Durch ein großes Fenster sahen wir auf den weißen Horch hinunter, der staubbedeckt vor dem Haus stand. »Ich weiß nicht, ob sie hinten im Garten sind oder vielleicht auf der Sonnenterrasse.«
    Hiero setzte sich auf eine Mahagonibank an der Wand gegenüber. Er runzelte die Stirn, hob den Kopf und lauschte.
    Etwas kam den Gang entlang näher. Ich hörte das Rascheln von Stoff, gedämpfte Schrittgeräusche und ein leises mechanisches Quietschen wie von Gummirädern. Ein Servierwagen? Vielleicht störten wir die Herrschaften gerade beim Nachmittagstee?
    Dann kam eine ältere Dame in einem cremefarbenen Kleid in Sicht. Sie schob einen Rollstuhl, in dem ein Mädchen saß. Ich wischte meine verschwitzte Hand an meiner Hose ab. Das Mädchen war verdammt hübsch mit seinen dunklen Augen und dem rotbraunen Haar. Wie sie da saß, die schmalen Hände vor sich im Schoß, wirkte sie irgendwie fehl am Platz in diesem Gefährt, gar nicht wie eine Invalide. Sie hatte ein sehr fein geschnittenes Gesicht, und als sie lächelte, war es als wehte ein ganz leichter Wind über das ruhige Wasser eines Sees.
    »Ernie!«, rief sie. »Ich hab es gewusst!«
    »Hi, Buggie.« Er lächelte und stand ganz still, während sie näherkamen. Chip warf mir einen überraschten Blick zu.
    Die ältere Dame drückte mit der Fußspitze auf die Feststellbremse des Rollstuhls. Dann richtete sie sich kerzengerade auf, strich über ihre Ärmel und musterte Ernst aufmerksam. »Tja«, sagte sie, »du solltest dich mal sehen. Du siehst schrecklich aus.«
    Ernst schmunzelte.
    »Liesl hat sich eingebildet, sie hätte ein Auto in der Einfahrt gehört.«
    Das Mädchen lächelte. »Hab ich’s dir nicht gesagt?«
    Frau von Haselberg legte ihre Hände zusammen und

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