Spiels noch einmal
wandte sich uns zu. Sie war blass, ihr Gesicht war mit winzigen Fältchen überzogen wie ein Blatt mit Adern. Ihre braunen Augen waren das einzig Dunkle an ihr. Sie war mir nicht ganz geheuer, sie wirkte seltsam weiß, wie etwas, das aus den Tiefen der Erde hochgespült worden war. »Sie sind bestimmt Ernsts Amerikaner«, sagte sie. »Wir haben schon so viel von Ihnen gehört. Es ist schade, dass Ernst Sie nicht schon längst zu einem Besuch mitgebracht hat. Wir haben natürlich alle Ihre Platten.«
»Natürlich«, sagte Ernst trocken. »Aber habt ihr sie auch schon mal gehört?«
»Ernst!«, sagte die Mutter im Ton des Entsetzens. Aber sie lächelte.
Chip nahm seinen Hut ab, als Ernst uns vorstellte. Ich starrte auf seine verschrammten Hände und die verschorfte Kopfwunde. Seine Austernlippen waren immer noch dick und rissig, sein eines Auge, halb zugeschwollen, schielte. Verdammt, dachte ich, er sieht wirklich aus wie Frankenstein.
Ernst machte eine elegante Handbewegung in Richtung
der beiden Frauen. »Das ist meine Mutter Frau von Haselberg. Und das meine Schwester Liesl. Wir nennen sie Buggy. Sie ist ein leichtsinniges Geschöpf, das andauernd irgendwelchen Unsinn macht.«
Liesl lächelte strahlend. »Das stimmt. Sie werden es sehen.«
»Bleiben Sie lange?«, fragte Frau von Haselberg.
»Nein.«
Sie wirkte ein bisschen enttäuscht. »Sie sind heute von Berlin hierhergefahren? Das muss ganz schön anstrengend gewesen sein, bestimmt sind Sie ziemlich erschöpft. Natürlich bleiben Sie hier über Nacht. Ich werde Frieda Bescheid sagen, Ihre Zimmer herzurichten.«
»Erschöpft? So starke junge Männer?«, sagte Liesl mit spöttischem Lächeln. »Das will ich nicht hoffen.«
»Ich bin eigentlich noch ganz frisch.« Chip grinste.
Liesl musterte ihn. Ihr Lächeln wurde breiter.
Ich beobachtete die beiden wachsam.
»Vater ist nicht da?«, bemerkte Ernst.
Seine Mutter seufzte. »Er ist im Saarland. Geschäftlich. Er wollte aber bald wieder da sein. Du hast etwas mit ihm zu besprechen? Ich hoffe doch, es ist alles in Ordnung?«
Ernst warf ihr einen Blick zu. »Hat er nichts gesagt?«
»Wovon?«
»Du kennst ihn doch, Ernie«, sagte Liesl. » Rummel weiß mehr als wir.«
»Ja natürlich. Die Frauen sind so zerbrechliche Wesen. Man muss alles von ihnen fernhalten, was sie belasten könnte.«
»Unbedingt«, sagte Liesl.
Frau von Haselberg schüttelte nur den Kopf.
Ich blickte hinaus auf die weiten Rasenflächen, die im Licht der Abendsonne dalagen. Es war so verdammt friedlich hier.
»Ich zeige unseren Gästen jetzt ihre Zimmer«, sagte Ernst zu seiner Mutter. »Wir sehen uns dann später. Vielleicht könnte Anke uns eine Kleinigkeit zu essen bringen, wir sind hungrig.«
Frau von Haselberg nickte. »Anke ist nicht mehr bei uns. Aber das neue Mädchen wird schon etwas finden.«
Ernst führte uns den Gang entlang, eine Treppe hinauf und über einen auf einer Seite offenen Korridor, von dem aus man in ein langes Wohnzimmer hinabsah. Ernst beugte sich über das Geländer und rollte die Augen, bevor er weiterging.
»Was ist deiner Schwester passiert?«, fragte der Junge.
»Kinderlähmung. Damals war sie vier.« Ernst räusperte sich. »Sie ist von der Hüfte abwärts gelähmt.«
»Verdammt«, sagte Chip. »Na ja, sie ist in Ordnung, nicht?«
»Nein«, sagt Ernst. »Keiner von denen ist in Ordnung. Meine Leute sind heuchlerische, spießige Snobs, und sie würden euch am liebsten hochkantig rausschmeißen. Rummel auch.«
»Rummel? Der Diener?«
Ernst runzelte finster die Stirn. »Rummel ist kein Diener. Rummel ist – er ist tüchtig .« Er wurde langsamer, sah uns nachdenklich an. »Wenn irgendwas zu erledigen ist, Rummel macht es. Auf ihn ist Verlass.«
»Ich nehme an, du redest nicht von solchen Sachen wie Wäschewaschen«, murmelte Chip.
Ernst lächelte bitter. »Nein, dafür sind andere da.«
Am nächsten Tag schlief ich lange in dem weichen Bett. Als ich am späten Vormittag endlich aufwachte, fiel mein Blick auf einen tadellos sauberen Anzug, den jemand für mich hingelegt hatte. Ich fragte mich, wo Delilah und Paul wohl schliefen. Und was sie nach dem Aufwachen erwartete.
In einem Hof hinter dem Haus, wo der Horch abgestellt war, fand ich Chip und den Jungen. Auch sie hatten saubere Anzüge bekommen. Das Auto war frisch gewaschen und glänzte blitzblank in der Sonne.
Ich stand in der Tür und schaute hinaus zu ihnen. Hiero saß auf den Steinstufen mit dem Rücken zu mir, Chip ging an dem
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