Spiels noch einmal
fasste mich mit festem Griff am Arm. »Ich pass schon auf, dass nichts passiert, das versprech ich dir.«
Ich blickte überrascht auf.
Wir blieben noch eine Weile still in der Sonne sitzen. Der Junge beobachtete Chip, der Liesl über das Pflaster schob.
»Mein zweiter Vorname ist Thomas«, sagte er. »Ich möchte, dass du das weißt; ich mache kein Geheimnis draus.«
Ich lächelte schwach. Es kam mir so bedeutungslos vor. »Roscoe«, sagte ich. »Sidney Roscoe Griffiths.«
Hamburg war mir nicht völlig fremd. Für mich war es einfach eine dieser unfreundlichen Städte in Norddeutschland, verregnet, der Himmel trübe grau wie lauter Wasser. Wir waren schon ein oder zwei Mal dort gewesen und hatten in den Clubs für diese blöden Swing Boys gespielt, lauter Kinder aus gutem Haus, die in aller Öffentlichkeit dem Anstreicher trotzten. Sie schmierten sich ihre langen Haare mit Pomade ein, trugen Glencheckanzüge und Schuhe mit Kreppsohlen, die Mädchen kurze Röcke und Seidenstrümpfe. Als ob es darauf ankäme, was einer anhat . Ich wusste, sie meinten es gut und sie waren unser Publikum, aber die meisten hatten keine Ahnung von Jazz und kamen nur, weil es was
Verbotenes war. Diese Kinder dachten, Whiteman, Gluskin, Bela wären Musiker vom gleichen Format wie Armstrong oder Basie. Sie konnten nicht mal richtig tanzen. Sie schwangen alle schön einheitlich die Arme, schüttelten ihre Haare oder ihre Homburger oder ihre zugeklappten Regenschirme. Ich wusste, sie liebten uns, nahmen für uns sogar in Kauf, auf offener Straße verprügelt zu werden. Ja, verdammt, ich hätte wirklich gerne ihre Liebe erwidert, aber es gelang mir einfach nicht.
Daran dachte ich, als wir durch die Stadt fuhren. Diese ganze Swingkultur war schon am Absterben.
Der Junge und ich redeten wenig. Vielleicht gingen ihm ganz ähnliche Gedanken im Kopf herum wie mir. Irgendwann tippte er mit seinen langen sanften Fingern aufs Armaturenbrett und wies auf einen Parkplatz. Ich fuhr hin, das Auto kam zum Stehen, und ich schaute auf. Vor mir an dem Zaun hing ein großes Schild.
»Du willst mit mir in den Zoo gehen? Was soll das?«
»Hagenbeck ist kein Zoo«, sagte der Junge, »sondern ein Tierpark. Das ist angeblich was Besseres: Die Tiere sind da nicht in Käfige eingesperrt, es gibt bloß Wassergräben. So können sie auf ihrem Gelände frei rumlaufen.«
»Junge, ich bin nicht in der Stimmung für so was, echt nicht.« Ich legte die Arme aufs Lenkrad und schnaubte.
Er sah mich an. »Ich möchte dir was zeigen. Ich zeig dir, was Hamburg für mich bedeutet.«
Er stieg aus und knallte die Tür hinter sich zu. Ich beobachtete ihn eine Minute lang durch die saubere Windschutzscheibe. Dann seufzte ich und folgte ihm.
Das Eingangstor stand hoch und imposant im Sonnenlicht. Wir überquerten den Platz und gingen zu dem Schal
ter, wo die Eintrittskarten verkauft wurden. Der Typ hinter dem Tresen machte ein höflich steifes Gesicht. Der Junge starrte ihn an, bis er wegschaute.
Als wir weitergingen, begegnete uns eine Frau mit ihrem kleinen Sohn. Der Knirps wich vor uns zurück und starrte uns entsetzt an.
Hiero sagte nichts. Ein finster befriedigtes Lächeln spielte über seine Lippen.
Die Anlage sah wirklich aus wie ein Park, mit viel Grün und schattenspendenden Bäumen. Ein leichter Geruch von Mist und Pisse und feuchter Erde lag in der Luft, als näherten wir uns einem Bauernhof. Über uns flogen blasse Vögel, die schrille Klagelaute ausstießen. Dann schlängelte sich der Weg abwärts zu einem Teich. Ich sah grasende Nilpferde, deren Haut wie polierter Stein glänzte. Der Junge spähte nach vorn, er wirkte nervös.
»Nur die Ruhe«, sagte ich. »Hier sind wir einigermaßen sicher.«
Er sah mich an. »Es ist nicht deswegen.«
Einige mit Stroh gedeckte Lehmhütten kamen in Sicht. Der Junge schritt eilig darauf zu, ich folgte ihm. Es waren an diesem Nachmittag nur wenige Besucher im Tierpark unterwegs.
Hiero blieb kurz stehen, dann traten wir näher.
Vor uns ragte ein brusthoher Zaun mit spitzen Latten auf.
»Hier waren die gefährlichen Tiere«, sagte Hiero bitter.
Ich glotzte erstaunt auf ein leeres Gehege.
»Da drin waren Menschen . Schwarze, barfuß, in Lumpen gekleidet.« Hiero wirkte, als hätte er die Szene klar vor Augen. »Ein paar Männer hockten auf flachen Steinen und rauchten primitiv geschnitzte Pfeifen; an ihren riesigen Ohr
läppchen hing scheibenförmiger Schmuck. Weiter hinten saßen Frauen in einem Kreis, Tücher mit
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